Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Willemer, Marianne (Maria Anna Katharina Therese) von, geb. Pirngruber, Demoiselle Jung

* 20 Nov. 1784 in Linz (?), † 6. Dez. 1860 in Frankfurt a. M., Gitarristin. Sie war die Tochter der Schauspielerin Elisabeth Pirngruber (um 1761−?), über den Vater liegen keine Informationen vor. Elisabeth Pirngruber heiratete im März 1788 in St. Pölten den Leiter des dortigen Theaters, Joseph M. Georg Jung. Zwar nahm Marianne Pirngruber in der Folge seinen Namen an, jedoch ist er nach jetzigem Forschungsstand nicht ihr leiblicher Vater gewesen. Sie wuchs zunächst in Wien bei den vier Geschwistern ihrer Mutter auf und betätigte sich dort als Schauspielerin und Tänzerin. Gemeinsam mit ihrer Mutter reiste sie um 1798 mit dem befreundeten Ballettmeister Traub und seiner Frau nach Frankfurt a. M. Um etwa 1800 wurde Marianne Jung Pflegetochter von Hans Johann Jakob von Willemer (1760−1838). „Sie sollte von den Verführungen, denen ihr Stand und ihre reizende Persönlichkeit sie aussetzten, nicht länger bedroht sein. Willemer verpflichtete sich, sie im eigenen Hause mit seinen beiden noch in demselben weilenden Töchtern zu erziehen, für ihren ganzen Unterhalt zu sorgen, auch sie musikalisch aufs Gründlichste ausbilden zu lassen. Für die Vortheile, welche die Mutter aus Mariannens Bühnenthätigkeit zog, entschädigte er sie durch Auszahlung einer Summe von 2000 Gulden“ (Creizenach 1877, S. 10). Zudem erhielt Elisabeth Pirngruber eine jährliche Rente. Zusammen mit Willemers leiblichen Töchtern Käthe, Meline und Maxe wurde Marianne Jung seitdem in Musik und Sprachen unterrichtet. Im Gitarrenspiel wurde sie von dem Mainzer Hoflautenisten Christian Gottlieb Scheidler (?−1815) und von dem Schriftsteller Clemens Brentano (1778−1842) ausgebildet. Zudem erhielt sie Klavier- und Gesangsunterricht.

 

Photographie eines Gemäldes von E. Hader aus dem Jahr 1883.

 

Lediglich zwischen 1805 und 1807 sind öffentliche Konzerte nachgewiesen. Darüber hinaus sind Vorträge im privaten Rahmen mehrfach in Briefen zwischen Goethe und Marianne Jung dokumentiert. Dennoch erlangte sie in dieser kurzen Zeit einen Ruf als „treffliche Gitarrsolistin“ (Zuth, S. 151). Am 22. Jan. 1806 wirkte sie bei einem vom Cellisten Johann Gottfried Arnold (1773−1806) veranstalteten Konzert mit und trug zusammen mit Christian Gottlieb Scheidler von ihm komponierte Variationen für Violoncello und zwei Gitarren vor. „Dem. Jung spielte ihre Partie, so schwierig sie auch war, mit grösster Leichtigkeit und Präcision, und in jedem Betracht als eine Virtuosin. Man hörte nur die Töne, (kein Rauschen, oder sonst etwas nebenbey) und hörte diese nie hart oder schneidend, sondern durchaus sanft und angenehm, im Forte wie im Piano“ (AmZ 1806, Sp. 344f.). Im Nov. 1806 konzertierte die Musikerin vor der französischen Kaiserin Josephine im Mainzer Schloss: Neben einer Sängerin Demoiselle Schmalz und dem spanischen Violinisten Bruger trat „auch eine Liebhaberin aus Frankfurt, Demoiselle Jung“ auf, „welche vorzüglich singt und in ihrem Spiele auf der Guitarre, dem Lieblingsinstrumente der Kaiserin, was Fertigkeit, Ausdruck und Geschmack betrifft, nicht leicht ihres Gleichen findet“ (Düntzer 1886, S. 210). Im Jahr 1810 reiste Willemer mit einer Tochter und Marianne Jung nach Rom, wo seine Pflegetochter Klavierunterricht von Luigi Confidati (1772−1847) erhielt.

1814 heirateten Marianne Jung und Hans Johann Jakob von Willemer. Nach dem Tod von Hans Johann Jakob von Willemer zog seine Witwe in Frankfurt a. M. in die Alte Mainzergasse 42, veranstaltete dort Musikabende und erteilte Gesangsunterricht. In dieser Zeit pflegte sie freundschaftlichen Kontakt zu Mendelssohn und den Sängerinnen Antonie Speyer und Jenny Lind.

Aus der Zusammenarbeit von Goethe und Marianne Jung entstanden 1815 während des Aufenthalts auf der Gerbermühle die „Suleika-Lieder“ im West-Östlichen Divan.

 

LITERATUR

Theodor Creizenach (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Goethe und Marianne von Willemer (Suleika), Stuttgart 1877.

AmZ 1805, Sp. 393; 1806, Sp. 344f.; 1807, Sp. 557

Heinrich Düntzer, „Marianne Jung (spätere von Willemer) vor der französischen Kaiserin Josephine in Mainz im November 1806“, in: Archiv für Literaturgeschichte, hrsg. von Franz Schnorr von Carolsfeld, 15 Bde., Bd. 14, Leipzig 1886, S. 210f.

Josef Zuth, Handbuch der Laute und Gitarre, Wien 1926.

Walther Killy u. Rudolf Vierhaus, Deutsche Biographische Enzyklopädie, 13 Bde., Bd. 10, München 1999.

Dagmar von Gersdorff, Marianne von Willemer und Goethe. Geschichte einer Liebe, Frankfurt a. M. u. Leipzig 2003.

 

Bildnachweis

Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, GOS-Nr. pk003304 http://museum.zib.de/sgml_internet/sgml.php?seite=5&fld_0=PK003304, Zugriff am 1. Juni 2012.

 

Jannis Wichmann

 

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