Jahresbericht 2023
Zum ersten Mal bin ich auf Ihre Webseite gestoßen und bin hin und weg von der Informationsfülle, die Ihr Instrumentalistinnen-Lexikon zu bieten hat! Ich lese die Biographien wie Romane, so spannend sind sie. Sie strahlen diese Vorbild-Wirkung aus, die weiblichen Musikerinnen im Alltag oft fehlt. Vielen Dank!
Am 14. Oktober fanden wir diesen Brief von einer uns unbekannten Absenderin im Mail-Briefkasten. Das hat sehr gutgetan, liebe Tabea! Nach einer mehrjährigen ‚Lexikon-Pause‘ haben wir uns in diesem und im vorigen Jahr wieder mit dem Lexikon beschäftigt, haben vor allem die älteren Artikel überarbeitet, andere ergänzt und – wo notwendig – korrigiert. Zum Beispiel, als wir feststellten, dass die Informationen über die Violinistin Elisabeth Hauteterre eigentlich aus zwei verschiedenen Biographien stammten, nämlich einer Geigerin dieses Namens, die 1737 in Paris im Concert spirituel auftrat, und ihrer Tochter, die denselben Namen trug und die, wie wir inzwischen wissen, von 1738 bis 1820 lebte und in den 1760er und 1770er Jahren als Komponistin in Erscheinung trat. Die Verwechslung hat ihren Ursprung im „New Grove Dictionary of Women Composers“ und ist auch im Wikipedia-Artikel anzutreffen. Wer also die richtigen Informationen sucht: Man findet sie exklusiv im Instrumentalistinnen-Lexikon des Sophie Drinker Instituts!
Die Revision des Lexikons ist inzwischen abgeschlossen, was aber nicht bedeutet, dass wir Korrekturen und Ergänzungen nicht weiterhin gerne einarbeiten.
Barbara Kollenbach hat (mit Hilfe von Luisa Klaus) eine ursprünglich vom Schweizerischen ForumMusikDiversität zusammengestellte und auf unserer Homepage veröffentlichte Datenbank „Orchesterwerke von Komponistinnen im Musikverlag“ ergänzt und überarbeitet. Diese Datenbank enthält jetzt etwa 1700 Orchesterwerke, die mit Stimmenmaterial gedruckt vorliegen, und gibt Auskunft, wo Partituren und Stimmen (auch als Leihmaterial) erhältlich sind. Eine Fundgrube für alle (und das sind nicht wenige), die zurzeit auch groß besetzte Kompositionen von Frauen aufführen wollen. Die aktualisierte Fassung der Liste ist seit dem 5. Dezember 2023 online und hier abrufbar.
Im Sommer hat sich Prof. Dr. Birger Petersen (Musikhochschule Mainz) bei uns gemeldet mit der Anfrage, ob wir etwas zu einer Tagung über die Geschichte der Kontrapunkt-Ausbildung im 19. Jahrhundert beitragen könnten. Luisa Klaus hat die Aufgabe übernommen, eine ausführliche Zusammenstellung der Lehrwerke an Konservatorien zu erstellen, und hat darüber an der Musikhochschule Mainz referiert.
Ein neues Projekt
Seit etwa einem Jahr beschäftigen wir uns mit einem neuen Thema, diesmal aus dem 20. Jahrhundert. Es schließt an das dreibändige „Handbuch Konservatorien“ an, das die institutionelle Musikausbildung im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts behandelte und im September 2021 im Laaber-Verlag erschienen ist. Wir haben zu diesem dreibändigen Werk sehr positive Rezensionen und Rückmeldungen erhalten und wenden uns nun einem weiteren Desiderat in der Geschichte der Musikpädagogik zu: der Musikausbildung im Nationalsozialismus. Hierzu gibt es bisher nur vereinzelte Vorarbeiten (Leipzig, Weimar, Düsseldorf, München), und wir können uns vorstellen, dazu ein zweibändiges Werk zu erarbeiten. Zwei Kollegen von der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, Dr. Severin Matiasovits und Erwin Strouhal, haben zugesagt, am Beispiel Wien auch die Verhältnisse in Österreich in den Blick zu nehmen, und mit Dr. Maren Goltz, Autorin einer einschlägigen Dissertation über das Leipziger Konservatorium, haben wir eine ebenfalls mit der Materie vertraute Mitstreiterin.
Das Vorhaben ist ein Gemeinschaftsprojekt mit Prof. Dr. Alexander Cvetko, Universität Bremen.
Termine
30. Januar: Vortrag von Freia Hoffmann an der Universität Saarbrücken im Rahmen der „Awareness Week“: „Vom schwierigen Umgang mit der Macht: Übergriffe in der künstlerischen Ausbildung“
24. Februar: Katharina Hottmann hatte uns einen Vortrag angekündigt mit dem vielversprechenden Thema „Die Ofenzange als Triangel und der kleine Tänzer auf Schweinsborsten. Musikalische Jungen- und Mädchensozialisation um 1900 im Spiegel von Jugendzeitschriften“. Leider musste er krankheitshalber abgesagt werden. Wir hoffen, dass er im nächsten Jahr nachgeholt wird!
1. April: Rückkehr unserer Mitarbeiterin Luisa Klaus aus Israel. Sie hatte dort mit ihrer Familie ein halbes Jahr verbracht, um weitere Quellen zu ihrer Dissertation über Edith Gerson-Kiwi zu sammeln und auszuwerten. Mit einem eindrucksvollen bebilderten Vortrag hat sie über ihre Erfahrungen und die dortige Situation berichtet.
12. April: Besuch von Oberstufen-SchülerInnen des Domgymnasiums Verden. Im Mai sollte dort im Rahmen des renommierten Festivals „Maiklänge“ das Klavierquintett Nr. 1 op. 30 von Louise Farrenc aufgeführt werden. Das war der Anlass für Vanessa Galli, Lehrerin am Domgymnasium, mit ihrem Leistungskurs Musik das Sophie Drinker Institut zu besuchen und sich über Louise Farrenc und die an der Universität Oldenburg erstellte Edition zu erkundigen. Wie ediert man eine Komposition? Mit Kopien von Autograph und alten Musikdrucken konnten alle ein bisschen üben und sich ein Bild machen von den Entscheidungen, die man für eine Kritische Werkausgabe zu treffen hat. Die SchülerInnen haben anschließend für das Programmheft Texte über die Biographie und das Klavierquintett von Louise Farrenc verfasst – und uns zum Konzert eingeladen. Es war ein großartiges Erlebnis, mit erstklassigen international renommierten MusikerInnen im gotischen Festsaal des Domgymnasiums und einem begeisterten Publikum. Mehr ist auf der Homepage des Gymnasiums zu erfahren unter https://www.domgymnasium-verden.de/louise-farrenc.html.
In der Bibliothek des Instituts: vorne die SchülerInnen, rechts Vanessa Galli,
hintere Reihe von links: Christiane Barlag, Freia Hoffmann und Barbara Kollenbach vom Institut.
5. Mai: UFO. Das seit 20 Jahren bestehende „Unabhängige Forschungskolloquium für musikwissenschaftliche Geschlechterstudien“ trifft sich an wechselnden Orten, um eigene Arbeiten und Grundlagentexte zum Thema zu diskutieren. Dieses Mal war wieder das Sophie Drinker Institut Gastgeberin.
7. Mai: Konzert des Staatstheaters Oldenburg mit Werken von Louise Farrenc und Florence Price. Es wurde im NDR direkt übertragen, in der Pause Interview mit Freia Hoffmann.
17. Oktober: Sitzung des Beirats. Die Mitglieder haben, wie immer, die Berichte und Vorhaben mit Interesse und großer Sachkenntnis kommentiert. Wir sind sehr dankbar, diese renommierten WissenschaftlerInnen an unserer Seite zu haben!
2. November: Besuch unseres ehemaligen Beiratsmitglieds Prof. Dr. Sabine Giesbrecht aus Osnabrück. Sie hat das Sophie Drinker Institut vor allem in seiner Anfangszeit entscheidend unterstützt und ist dem Institut seitdem eng verbunden. Diesmal hat sie uns eine Reihe wertvoller Bücher aus ihrem Besitz geschenkt, darunter auch solche aus der NS-Zeit, die wir für unser neues Projekt gut gebrauchen können.
2. November: Vortrag von Luisa Klaus bei der Tagung „Musikunterricht in gesellschaftlicher Verantwortung. Zugänge zu Kultur von und durch Musik“ im Europäischen Zentrum für Jüdische Musik in Hannover mit dem Titel: „Hebraistische Folklore, staatstragende Musikforschung in Edith Gerson-Kiwis ‚Das israelische Dorf, seine Instrumente und Ensembles‘ (1955)“.
8./9. November: Teilnahme an einer Tagung in Sondershausen zum Thema „Musik und Bildung in der NS-Zeit“. Prof. Dr. Alexander Cvetko, Beiratsmitglied, Kollege und Kooperationspartner aus der Universität Bremen, referierte zusammen mit Erik Kirchgäßner und Timo Maul über Musikpädagogik im Nationalsozialismus, Freia Hoffmann über die Vorgeschichte des Konservatoriums Sondershausen von 1883 bis 1933. Philine Lautenschläger, Christiane Barlag und Barbara Kollenbach waren als Zuhörerinnen anwesend, und alle nahmen wichtige Anregungen und Fragestellungen für unser NS-Projekt mit.
23. November: Vortrag von Luisa Klaus bei der Tagung „Kontrapunkt-Traditionen. Lokale Traditionen und Schulen“ an der Hochschule für Musik Mainz mit dem Titel: „Harmonielehre und Kontrapunkt – Studieninhalte an 16 Konservatorien im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts“.
Veröffentlichungen
Annkatrin Babbe: „Clara Schumann am Hoch’schen Konservatorium. Überlegungen zur ‚Schumann-Schule‘“, in: Clara Schumann. Alltag und Künstlertum, hrsg. von Thomas Synofzik u. Michael Heinemann (= Schumann-Studien 14), Würzburg 2023, S. 17–48.
Jahrbuch Musik und Gender Bd. 14: Gender und Musik im Netzwerk. 20 Jahre Unabhängiges Forschungskolloquium für musikwissenschaftliche Geschlechterstudien (UFO), hrsg. von Annkatrin Babbe [u. a.], Hildesheim 2023, darin:
Annkatrin Babbe [u. a.]: 20 Jahre Genderforschung im Netzwerk. Einleitende Gedanken zum Unabhängigen Forschungskolloquium für musikwissenschaftliche Geschlechterstudien (UFO), S. 13–23.
Dies.: Clara Schumann am Hoch’schen Konservatorium: Direktorin im Hintergrund, S. 38–52.
Luisa Klaus: „…keinerlei ‚Weltgeltung‘ wie etwa eine Beethovensche Symphonie“ – Edith Gerson-Kiwis Untersuchungen zum ‚orientalischen‘ Musiker, S. 121–130.
Zwei Verabschiedungen...
Nach 16 (!) Jahren hat uns Dr. Volker Timmermann am 1. April verlassen. Als Wissenschaftliche Hilfskraft beginnend, dann als Doktorand und schließlich als fertiger Wissenschaftler hat er viele Jahre lang das Institut geprägt, mehrere Publikationen für die Schriftenreihe (mit-)verfasst und herausgegeben, die Online-Schriftenreihe betreut, zahlreiche Artikel für das Lexikon Europäische Instrumentalistinnen geschrieben und am Handbuch Konservatorien mitgearbeitet. Seine Sachkenntnis (auch als Historiker), sein Humor und sein Engagement werden uns fehlen!
Wissenschaftlicher Nachwuchs, so will es das deutsche akademische System, soll Erfahrungen in verschiedenen Institutionen sammeln. Und so hat sich auch Dr. des. Annkatrin Babbe zu einem Wechsel entschieden und arbeitet seit 1. Oktober bei der Alban Berg Stiftung in Wien. Sie war 14 Jahre bei uns, hat in der Schriftenreihe ihre Bachelor- und Masterarbeit publiziert, hat vor allem wesentlichen Anteil am „Handbuch Konservatorien“ und am Instrumentalistinnen-Lexikon. Der Abschied auch von Annkatrin fällt schwer, wir wünschen ihr für ihre Zukunft alles Gute und hoffen, dass sie uns als wissenschaftliche Gesprächspartnerin und Freundin erhalten bleibt!
... und zwei Neue!
Seit 1. September ist nun Dr. des. Alexandre Bischofberger bei uns. Er ist Historiker und hat eine Dissertation über kubanische Musikerinnen und Musiker im 19. Jahrhundert verfasst, deren Studium an europäischen Konservatorien (Paris, Leipzig) einen perfekten Anschluss an unsere Forschungsschwerpunkte bietet. Einen Monat später kam Dr. Philine Lautenschläger dazu, die – auch das passt wunderbar zum Sophie Drinker Institut – nicht nur eine erfolgreiche Musikwissenschaftlerin mit Schwerpunkten im 18. und 20. Jahrhundert (und mit Gender-Interessen) ist, sondern auch Cembalistin. Die Erfolgsstationen und Publikationslisten der beiden „Neuen“ sind so lang, dass Sie sie am besten auf der Homepage des Instituts nachlesen.
Herzliche Grüße aus dem winterlichen Bremen auch im Namen von Luisa Klaus, Christiane Barlag, Barbara Kollenbach, Philine Lautenschläger und Alexandre Bischofberger.
Wie immer: Bleiben Sie im Neuen Jahr gesund und optimistisch!
Ihre Freia Hoffmann
Prof. Dr. Freia Hoffmann, Geschäftsführerin
Sophie Drinker Institut gGmbH
Außer der Schleifmühle 28, 28203 Bremen
www.sophie-drinker-institut.de