Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Loder, Kate (Fanny), verh. Thompson, Lady Thompson

* 21. Aug. 1825 oder 1826 in Bath/Somersetshire, † 30. Aug. 1904 in Headley/Surrey, Pianistin, Organistin, Komponistin sowie Lehrerin für Harmonielehre und Klavier an der Londoner Royal Academy of Music. Sie wuchs in einem sehr musikalischen Umfeld auf: Ihr Vater George Loder war Pianist und Klavierlehrer; auch ihre Mutter Fanny soll großes musikalisches Talent gehabt haben (Cazalet, S. 305). Ihr Onkel John David Loder (1788–1846) war Professor für Violine an der Royal Academy of Music und wirkte von 1817 bis zu seinem Tod als Konzertmeister in der London Philharmonic Society.

Bereits im Alter von drei Jahren zeigte sie ein hervorragendes musikalisches Gehör. Ein Musikliebhaber, der die Familie besuchte, berichtete: „She could instantly name, with perfect correctness, either single notes or chords, which he struck on the pianoforte, while her face was hidden, or her back turned to the instrument (Cazalet, S. 304). Wegen eines Augenleidens und ihres allgemein schlechten Gesundheitszustandes erhielt sie auf ärztlichen Rat bis zum Alter von sechs Jahren keinen Musikunterricht; es war ihr aber erlaubt, zum Vergnügen und zur Erholung nach Gehör spielen. Von 1832 bis 1838 wurde sie in Bath von einer Miss Batterbury unterrichtet. Am Ende dieser Zeit bewältigte sie bereits die schwierigen Phantasien von Thalberg und Herz. Eine besondere Vorliebe zeigte sie für Mozart, Beethoven und Dussek. 1838 bis 1839 erhielt sie Klavierunterricht von Henry Field (1797–1848) und ging danach 13-jährig nach London, um an der Royal Academy of Music zu studieren. Dort blieb sie von 1839 bis 1844 und wurde in dieser Zeit von Lucy Anderson (Klavier) und Charles Lucas (1808–1869, Harmonielehre, Komposition) unterrichtet. Sie soll auch Unterricht von Cipriani Potter (1792–1871, Klavier und/oder Komposition) erhalten haben (Musical Standard 1904 II, S. 185). In den Jahren 1839 und 1841 gewann sie jeweils ein königliches Stipendium („King’s scholarship, Cazalet, S. 304), das in einem Konzert mit Publikumswahl vergeben wurde. Nach Abschluss ihres Studiums wurde sie im Jahre 1844 Lehrerin für Harmonielehre an der Royal Academy of Music, nachdem sie schon seit 1841 Assistentin in diesem Fach gewesen war.

Ihre Konzerttätigkeit hatte bereits im Alter von zwölf Jahren begonnen. Zu dieser Zeit trat sie in Konzerten auf, die ihr Onkel in Bath veranstaltete. Ab 1840 wirkte sie regelmäßig in Konzerten der Royal Academy of Music in London mit. Am 31. März 1844 spielte sie in einem Konzert ihrer Lehrerin Lucy Anderson (im Her Majestys Theatre) zwei Sätze des Klavierkonzerts in g-Moll von Mendelssohn. Der Komponist, der selbst zugegen war, sprach ihr anschließend seine Anerkennung aus und lud sie ein, bei ihm in Leipzig zu studieren. Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil Mendelssohn im Nov. 1847 starb. In den Jahren von 1847 bis 1854 konzertierte sie in vielen wichtigen Spielstätten Londons (Philharmonic Society, Queens Concert Rooms Hanover Square, Theatre Royal Drury Lane, Exeter Hall u. a. ) und gastierte in vielen anderen englischen Städten, u. a. in Bristol, Oxford, Liverpool, Woodbridge und Winchester. Ihr Hauptwirkungsort blieb aber stets London, wo sie auch in Konzerten anderer Musiker und bei Soireen und anderen salonartigen Veranstaltungen mitwirkte (wie z. B. „Messent’s Grant Morning Concerts„Miss Chandler’s Concerts„Mrs. Bull’s Concert„Mr. Lucas’s Musical Evenings u. a.). In den englischen Tageszeitungen war sie vor allem in der Zeit von 1848 bis 1851 präsent. Das erste Konzert in der Philharmonischen Gesellschaft in London gab sie am 15. März 1847, wo sie Webers Klavierkonzert Nr. 2 in Es-Dur op. 32 vortrug. Das zweite Konzert in der Philharmonic Society, das am 29. Mai 1849 stattfand, erregte großes Aufsehen und bedeutete für sie einen Karrieresprung. Auch deutschsprachige Zeitschriften berichteten darüber. In der „Neuen Zeitschrift für Musik“ heißt es, dass sie „Mendelssohn’s Concert in G-Moll mit solcher Meisterschaft, mit solcher Kraft und richtigen Schattierung vortrug, daß das Finale stürmisch da capo begehrt wurde, – eine Ehre, die seit Jahren keinem Pianisten widerfuhr“ (NZfM 1848 II, S. 70). Auch in der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ hob man ihre Kraft hervor, die man als untypisch für ihr Geschlecht ansah. „In dem sechsten philharmonischen Conzerte trug Miss Kate Loder das erste Conzert von Mendelssohn vor. Sie ist unstreitig jetzt die beste englische Pianoforte-Virtuosin, und macht ihrer Lehrerin Mrs. Anderson die grösste Ehre. Die magische Wirkung, welche in Mendelssohn’s Spiele lag, steht noch in zu gutem Andenken bei uns; seinen Nachfolgern werden daher die Triumphe gar nicht leicht. Die Frauen besonders haben die wenigsten Aussichten darauf, denn die Mendelssohn’schen Conzertstücke erfordern strenges Tempo, Ausdauer der Finger, Geschmeidigkeit der Handgelenke, und überhaupt eine männliche Kraft, welche in der Regel dem zarteren Geschlechte versagt ist. Um so ehrenvoller war der Erfolg, den Miss Loder sich heute errang. Sie spielte ausgezeichnet nett und leicht, nahm die Tempi aller Sätze richtig, und das molto Allegro mit all jener ausserordentlichen Schnelligkeit, welche es verlangt. Die zarteren Stellen trug sie ausdrucksvoll und wenn auch nicht mit der tiefen Fülle, welche wir an dem Komponisten bewunderten, doch auch ohne die affektirte äußere Erregung vor, mit welcher manche Spieler der Neuzeit uns Sand in die Augen zu streuen suchen. Die Virtuosin musste das Finale wiederholen, und that es, ohne die geringste Ermüdung zu zeigen. – Sonderbarerweise glauben wir in neuerer Zeit mehr Ehrgeiz und Streben nach fortgesetzter höherer Ausbildung bei unseren Künstlerinnen als bei manchem unserer Künstler zu bemerken“ (AmZ 1848, Sp. 409). Nach diesem Konzert wurden ihre öffentlichen Auftritte häufiger, und sie sammelte einen größeren Kreis von SchülerInnen um sich. In den Jahren 1850, 1852 und 1854 konzertierte sie erneut in der Philharmonischen Gesellschaft in London und spielte auch das zweite Klavierkonzert von Mendelssohn in d-Moll op. 40. Zu ihrem Repertoire gehörten außer den genannten Klavierkonzerten Kompositionen von Beethoven, William Sterndale Bennett, Schumann, Weber, Reissiger u. a. Häufig phantasierte sie über bekannte Opernthemen oder spielte eigene Kompositionen, mit denen sie sich ebenfalls Anerkennung erwerben konnte. Zu ihren Kompositionen zählen u. a. eine Oper und zwei Streichquartette.

Nach der Eheschließung mit dem Arzt Henry Thompson am 16. Dez. 1851 schränkte sie ihre Konzerttätigkeit stark ein. Sie blieb aber weiterhin als Klavierlehrerin für die Royal Academy of Music aktiv, auch weil ihr Ehemann beruflich noch nicht Fuß gefasst hatte. 1853 arbeitete sie außerdem als Organistin an der St. Peter’s Church, Vere Street (MusT 1. Okt. 1904, S. 652), und schrieb zwei Hefte mit leichten Orgelstücken, die zum Teil noch 1925 in Orgelsammlungen erschienen. 1854 zog sie sich ganz vom Konzertieren zurück. Stattdessen widmete sie sich der Wohltätigkeit, gab z. B. armen Kindern unentgeltlich Klavierunterricht. Außerdem führte in ihrem Haus in der Wimpole Street eine Art Salon und förderte junge Musiktalente. Sie war mit Joseph Joachim befreundet, der sie in jeder Saison besuchte und mit ihr Kammermusik machte. Auch Fanny Davies und Clara Schumann sowie deren SchülerInnen zählten zu ihren regelmäßigen Gästen. „All Madame Schumann’s Pupils who came to England visited the House in Wimpole Street (The Musical Herald 1904, S. 294). Ab den 1870er Jahren litt sie unter Lähmungen, die sie gesundheitlich stark beeinträchtigen und später ans Bett fesselten. 1890 berichtet der „Hampshire Telegraph" über ihre schwere Krankheit (15. Febr. 1890). In der Presse erscheint ihr Name auch nach Beendigung ihrer Konzerttätigkeit noch oft, weil Kompositionen von ihr aufgeführt wurden (z. B. in den Jahren 1862, 1863, 1891 und 1895). Sehr selten trat sie in späteren Jahren auch als Pianistin auf (1870 und 1899), einmal sogar in der Royal Society of London (1871).

Als Klavierlehrerin stellte sie hohe Ansprüche. Über den Unterricht, den sie der jungen Pianistin Ethel Hall gab, wird berichtet: „Not the slightest defect nor slip – as, on the other hand, not the smallest, most delicate and true interpretation – escaped her notice and feeling, as she showed by the changes in her expression and the bright or sad notes in her eyes. Many a passage she would ask for over and over again, until the interpretation gave complete satisfaction, the young artist working so trustingly and bravely. To this friend as to others she added the study of harmony and foreign languages (Musical Standard 1908 I, S. 142). Nach dem Tod ihres Mannes, im Frühling 1904, starb sie im Aug. des gleichen Jahres. Sie hinterließ einen Sohn, Sir Herbert Thompson.

 

WERKE FÜR KLAVIER

Zwei Studienbücher (Books of Studies)

Fugitive Pieces

Zwei Klaviersonaten

Weitere Klavierstücke

Kammermusik mit Klavier (Sonate für Klavier und Violine, Klaviertrio in d-Moll)

 

WERKE FÜR ORGEL

Easy Voluntaries for the Organ, Two Sets (Zwei Stücke aus diesen Sammlungen [ein Allegro Moderato und ein Allegretto] erschienen später noch in anderen Sammlungen für Orgel)

 

LITERATUR

AmZ 1848, Sp. 409f.

Birmingham Daily Post 3. Okt. 1860

Bow Bells 1895, S. 620

Bristol Mercury 1846, 5., 12. Dez.; 1850, 9., 30. März

Daily News [London] 1847, 8., 9. Jan, 25. Mai, 2. Nov.; 1848, 30. Mai, 8. Sept.; 1849, 15., 21. Febr., 28. Apr., 12. Nov.; 1850, 16., 28. Jan., 17. Apr.; 1851, 6., 12. März, 7. Juli; 1852, 6., 25., 26. Febr., 22. März, 14., 20. Apr., 8. Juni, 3. Juli; 1853, 8., 11. März, 14. Juni, 6. Okt.; 1862, 21. Mai; 1868, 30. Juli

Derby Mercury 1850, 25. Dez.; 1851, 8. Jan.

The Era [London] 1839, 29. Dez.; 1841, 26. Dez.; 1846, 12. Apr., 2. Aug., 8. Nov.; 1848, 16. Jan., 4. Juni, 24. Sept., 1., 8., 15. Okt., 10., 24., 31. Dez.; 1849, 7., 28. Jan., 18. Febr., 4., 11., 13. Mai, 3., 17. Juni; 1850, 3. Febr., 21., 28. Apr., 30. Juni, 17. Nov.; 1851, 6. Apr., 20. Juli, 7. Sept., 21. Dez.; 1852, 11. Jan.; 1863, 7. Juni; 1870, 22. Mai, 3. Juli; 1898, 8. Okt.

The Examiner [London] 1844, 25. Mai; 1846, 11. Apr.; 1848, 27. Mai, 3. Juni, 9. Sept.; 1849, 26. Mai, 2. Juni; 1850, 20. Apr., 29. Juni; 1854, 11. März; 1862, 31. Mai; 1870, 22. Mai

Freemans Journal and Daily Commercial Advertiser [Dublin] 1846, 23. Mai; 1853, 22. Juli

Glasgow Herald 15. Apr. 1893

The Graphic [London] 11. Mai 1889

Hampshire Telegraph and Sussex Chronicle [Portsmouth] 1852, 21. Febr.; 1890, 15. Febr.

The Hull Packet and East Riding Times [Hull] 22. Juni 1849

The Ipswich Journal 1849, 27. Jan.; 1883, 6., 13. Okt.

Jacksons Oxford Journal 1848, 5. Aug.; 1850, 27. Apr.

Liverpool Mercury 19. März 1841

Lloyds Weekly Newspaper [London] 1847, 23. Mai; 1848, 20. Febr.; 1850, 24. März

The Morning Chronicle [London] 1845, 27. Febr., 9., 10. Apr.; 1846, 7. Apr., 15. Dez.; 1847, 15., 16., 22. März; 1848, 8., 25., 29. Mai, 22. Juni, 15. Aug., 25. Sept., 7., 10. Okt., 1., 5. Dez.; 1849, 11. Jan., 28. Febr., 13. März , 8. Mai; 1850, 9., 14., 28. Jan., 15., 20. März , 20., 23. Apr.; 1851, 4., 6. März, 24. Nov.; 1852, 25. Febr., 27. Apr., 31. Mai, 1., 11. Juni; 1853, 5., 7., 8., 9. März, 15. Juni; 1854, 1. März

Musical Herald 1904, S. 294

Musical Standard 1904 II, S. 185; 1908 I, S. 142

MusT 1891, S. 414; 1899, S. 727; 1904, S. 652, 672; 1909, S. 163; 1912, S. 299; 1916, S. 8, 456; 1925, S. 957

MusW 1886, S. 205

North Wales Chronicle [Bangor] 15. Jan. 1876

NZfM 1848 II, S. 70

The Preston Guardian etc. 22. Nov. 1851

Trewmans Exeter Flying Post or Plymouth and Cornish Advertiser 14. Sept. 1848

Grove 1, Baptie, Hays, Champlin, Pauer, Brown Brit, Ebel, De Bekker

William Wahab Cazalet, The History of the Royal Academy of Music, London 1854.

 

Hanna Bergmann

 

 

© 2009 Freia Hoffmann