Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Böhner, Brunhilde, Brunhild, verh. Thürlings, Thurlings

Lebensdaten unbekannt, vermutlich aus München stammende Harfenistin und Lehrerin. Über ihre Familie und ihren Ausbildungshintergrund ist nichts bekannt.

Brunhilde Böhner war von 1881 bis 1887 Harfenistin im Kölner Gürzenich-Orchester und zwischen 1883 und 1887 Lehrerin im Fach Harfe am dortigen Konservatorium. Sie wirkte in den Stadt- und Theaterorchestern Kölns und beim Niederrheinischen Musikfest mit. Auftritte sind in Köln (1881, 1883, 1887), Düsseldorf (1881, 1883), Krefeld (1882), Münster (1883), Aachen (1885) und Barmen (1886) dokumentiert, wobei sich Kammermusik, solistische Darbietungen und Mitwirkungen im Orchester die Waage halten. 1887 nahm ihr späterer Ehemann, der in München promovierte Musikwissenschaftler Adolf Thürlings (1844–1915), einen Ruf auf den Lehrstuhl für Systematische Theologie an die Universität Bern an. Die Heirat fand am 17. März 1888 statt. In der Folge verlagerte sich die Konzerttätigkeit Brunhilde Thürlings auf Bern und das Berner Umland (Neuchâtel und La Chaux-de-Fonds), sie bereiste 1900 aber auch St. Gallen. Bis ins Jahr 1912 sind Auftritte der „passée maître à la harpe“ („Altmeisterin der Harfe“, L’Express 10. Mai 1895) dokumentiert.

Die Rezensionen und Zeitungsberichte bilden die vielfältigen Tätigkeiten der Harfenistin ab und sind damit wohl charakteristisch für die Erwerbsmöglichkeiten von HarfenistInnen um 1900. Angedeutet wird in den Berichten, dass ein Großteil der Auftritte als Aushilfe in verschiedensten Orchestern bestritten wurde („Mme Thurlings est très avantageusement connue dans un grand nombre de villes, où elle a été appelée à jouer les parties de harpe de grandes œuvres“, „Frau Thürlings ist sehr vorteilhaft in vielen Städten bekannt, in die sie gerufen wurde, um die Harfenpartien in großen Werken zu übernehmen“, L’Impartial 14. Dez. 1900). Der überwiegende Teil der Berichte bezieht sich jedoch auf Engagements als Kammermusikerin, in Bern auch im Rahmen von Kirchenmusik, als Gesangsbegleiterin oder Solistin im Rahmen gemischter Programme. Nur vereinzelt sind eigene Solo-Konzerte oder umfangreichere solistische Darbietungen dokumentiert (Febr. und Mai 1895, Jan. 1900 in Neuchâtel; Jan. und Nov. 1901 in Bern), wobei diese Besprechungen sowohl die Leistungen der Harfenistin hervorheben als auch die vorherrschende Geringschätzung der Harfe als Soloinstrument widerspiegeln: „Les moyens d’interprétation de la harpe, et en conséquence le répertoire de cet instrument, sont fort limités; elle impressionne surtout le ‚sentiment‘; et ceux qui recherchent avant tout de telles impressions ne peuvent être que ravis quand elles leur sont données par des moyens dune aussi absolue perfection technique“ („Die Interpretationsmöglichkeiten der Harfe, und dementsprechend das Repertoire dieses Instruments, sind sehr begrenzt; sie beeindruckt vornehmlich das ‚Gefühl‘; und diejenigen, die vor allem solche Eindrücke suchen, können nur glücklich sein, wenn sie ihnen mit einer fast vollkommenen Perfektion dargeboten werden“, L’Impartial 14. Dez. 1900). Daneben erteilte Brunhilde Thürlings auch Unterricht, vermutlich als Privatlehrerin. 

Ihr Solorepertoire enthielt vor allem Werke von Charles Oberthür und John Thomas, vereinzelt auch Kompositionen von Elias Parish Alvars. Das Konzert für Flöte und Harfe KV 299 von W. A. Mozart kam 1895 in Neuchâtel zur Aufführung. An Kammermusik sind die Phantasie über Kol Nidrei op. 47 von Max Bruch in einer Bearbeitung für Violine und Harfe (März 1912 in Bern) sowie das Abendlied op. 85 Nr. 12 in einer Bearbeitung für Violine, Harfe und Orgel von Robert Schumann (Mai 1895 in Neuchâtel) erwähnenswert. Besonders positiv werden in der Presse ihre Interpretationen von Louis Spohrs Sonate concertante in Es-Dur op. 113 für Harfe und Violine beurteilt. Der Rezensent des „Intelligenzblatts“ hebt bei einem Berner Konzert am 24. Jan. 1901 besonders „das musikalische Spiel der Künstlerin“ (Intelligenzblatt 30. Jan. 1901) hervor: „Nichts von Effekthascherei, nichts von Pose, einfach und schlicht, doch bedeutend klang der überaus schöne Harfenpart“ (ebd.). Darüber hinaus brachte sie Kammermusik von Händel, César Frank und Charles Oberthür zur Aufführung und wirkte bei der Liszt-Vertonung des 137. Psalms (Searle 17) mit (Jan. 1912 in Bern).

Engelbert Humperdinck, der ein Kollege der Harfenistin am Kölner Konservatorium war, widmete Brunhilde Böhner im Jahr 1881 ein Nachtstück in A-Dur für Harfe solo. Ein Brief der Musikerin an Humperdinck aus demselben Jahr wird in der Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg (Frankfurt/Main) verwahrt.

                              

LITERATUR

Bock 1881, S. 398

L’Express [Neuchâtel] 1895, 2. Febr., 7., 10. Mai; 1901, 25. Dez.

Feuille d’Avis de Lausanne 1. Mai 1903

FritzschMW 1883, S. 544

L’Impartial [La Chaux-de-Fonds] 1900, 5., 14., 18., 19. Dez.

Intelligenzblatt der Stadt Bern 1889, 8. März; 1891, 13., 17. März; 1892, 11. März; 1900, 27. Dez.; 1901, 30. Jan.; 1903, 22., 24. Jan., 24. Apr., 2. Mai; 1908, 18., 28. Apr., 6. Mai; 1912, 11., 18. Jan.

Musikalisches Centralblatt 1881, S. 487; 1883, S. 236, 415

NZfM 1881, S. 443; 1882, S. 149; 1883, S. 158, 283, 471; 1885, S. 281; 1887, S. 304; 1900, S. 202

Signale 1881, S. 954; 1886, S. 215

Siona. Monatsschrift für Liturgie- und Kirchenmusik 1904, S. 32

Karlheinz Weber, Vom Spielmann zum städtischen Kammermusiker. Zur Geschichte des Gürzenich-Orchesters, 2 Bde., Bd. 2, Kassel 2009.

 

Jannis Wichmann

 

 

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