Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Ruta, (Teresa Emelina) Gilda, verh. Cagnazzi

* 13. Okt. 1853 in Neapel, † 26. Okt. 1932 in New York, Pianistin, Klavierlehrerin, Gesangslehrerin und Komponistin. Gilda Ruta wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren. Ihre Eltern waren die englische Sängerin Emelina Aluisa geb. Sutton (1835–?) und Michele Ruta (1826–1896). Gilda war eines von acht Kindern des Ehepaares. Ihre Geschwister waren Giovanni (1858–?), Maria Luigia Ida (1859–1861), Anna Maria Ida (1862–1944), Vincenzo Errico Leone (1863–?), Errico Eduardo Antonio (1865–?), Teresina und Eduardo Latino (1876–1936). Der Vater, selbst ein anerkannter Komponist, Pianist und Musikschriftsteller – seit 1879 war er Professor am Conservatorio San Pietro a Maiella in Neapel und wurde dort kurz darauf Konrektor, außerdem war er Direktor der Società orchestrale napoletana –, übernahm ihre erste musikalische Ausbildung. Emelina Ruta erteilte ihrer Tochter vermutlich Gesangsun­terricht. Zu den weiteren Lehrern zählt der Komponist Saverio Mercadante (1797–1870).

Seit 1869 sind Auftritte von Gilda Ruta in Neapel belegt, die zunächst in Veranstaltungen ihres Vaters, aber auch in weiteren Akademien und Konzerten in Neapel auftrat. Zu ihren frühen Konzerterfahrungen zählt ein Auftritt mit einem Klavierkonzert von Beethoven, begleitet von der Società orchestrale napoletana unter der Leitung von Nicola de Giosa im Teatro San Carlo. Francesco Florimo schreibt 1871 in seinem „Cenno storico sulla scuola musicale di Napoli“ über die junge Musikerin: Gilda Ruta, „giovinetta di anni sedici, è già una distinta pianista, e tanto bene inoltrata nella composizione, che dà fondate speranze di un suo prossimo brillante avvenire. Questa cara giovinetta, in età ancor si tenera, è ora maestra di pianoforte e di canto corale nella Scuola normale di Terra di Lavoro“ (Gilda Ruta, „ein Backfisch von 16 Jahren, ist schon eine hervorragende Pianistin und sehr weit vorgeschritten in der Komposition, sodass sie begründete Hoffnung auf eine baldige brillante Zukunft gibt. Dieses liebenswerte Mädchen, in noch so jugendlichem Alter, ist bereits Lehrerin für Klavier und Chorgesang an der Scuola normale di Terra di Lavoro“, Florimo, S. 1015).

Am 28. Dez. 1875 spielte Gilda Ruta, erneut unter der Leitung de Giosas, Mendelssohns Klavierkonzert Nr. 1 g-Moll op. 25 in Neapel. Nachdem sie 1877 den neapolitanischen Ingenieur Raffaeli Cagnazzi geheiratet hatte, zog sie sich offenbar aus dem öffentlichen Konzertleben zurück. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, die später ebenfalls als MusikerInnen in Erscheinung traten: Tommaso (um 1878–1955, Violine) und Anna (1881–?, Pianistin und Klavierlehrerin). Nur wenige Jahre nach der Eheschließung starb Raffaeli Cagnazzi. Anfang der 1880er Jahre nahm Gilda Ruta, die weiterhin unter ihrem Geburtsnamen auftrat, ihre Konzerttätigkeit wieder auf. In den folgenden Jahren konzertierte sie vor allem in Neapel (1884, 1887, 1889, 1890), aber auch in Mailand (1884), Venedig, Florenz, Rom (dort 1885, 1886, 1888) und Turin (1889). Der wiederholte Hinweis auf Konzertaufenthalte in der Schweiz, Frankreich und London lässt sich nicht bestätigen.

In Neapel wirkte die Pianistin wiederholt zusammen mit der Sängerin Nascio; auch ihre Schwester Anna, ebenfalls Sängerin, zählte zu ihren KonzertpartnerInnen. Häufig führte die Musikerin eigene Kompositionen vor, veranstaltete 1887 in Neapel „ein aus lauter eigenen Arbeiten bestehendes Concert“ (ebd. 1887, S. 490) und erfuhr hierfür positive Resonanz. Arthur Elson zufolge entwickelte sich Gilda Ruta zu „a pianist of great renown, but won her laurels more in the field of composition“ (Elson, S. 212). Für ihre Werke – neben zahlreichen Klavierkompositionen umfasst das Œuvre der Künstlerin Orchesterliteratur, Kammermusik und zahlreiche Lieder – wurde sie 1890 im Rahmen der Internationelen Musikausstellung in Florenz mit der „medaglia d’oro all’esposizione Beatrice“ (Gubernatis, S. 85) ausgezeichnet. Mehrfach wird sie in der Presse als ‚italienische Hofpianistin und -komponistin‘ aufgeführt.

In verschiedenen Blättern wird Anfang der 1893 die Ankündigung verbreitet, dass die Firma Steinway Gilda Ruta ein Angebot für eine Werbetournee durch Nordamerika unterbreitet habe. Die Pianistin übersiedelte im Herbst 1894 zusammen mit ihren beiden Kindern in die USA. Am 12. Nov. 1894 erreichte sie New York. Von der Presse wurde sie dort bereits vor ihrem Debüt wohlwollend empfangen: „Gilda Ruta, a pianist who enjoys the favor of the Italian Court, has arrived in New York. She comes armed with letters of recommendation from Sig [Francesco] Crispi, the Italian Premier. She is said to possess an exquisite touch, high technical ability and to play with true musicianly fervor. She is also a composer. Personally she is a very attractive woman. A concert at which she will introduce herself to the musical public of New York is being arranged“ (Elmira Daily Gazette and Free Press 8. Jan. 1895). Belege für eine Kooperation mit Steinway fehlen. Während Gilda Ruta zu Beginn ihres Aufenthalts in den USA auf Instrumenten dieser Firma spielte, gab sie später Empfehlungen für die Firma Wissner (Brooklyn) heraus. Innerhalb kurzer Zeit etablierte sich Gilda Ruta in New York als Pianistin, aber auch als Komponistin und Klavierlehrerin (u. a. am National Institute of Music).

Ihr erster Auftritt in New York fand am 12. Febr. 1895 statt: In einem Wohltätigkeitskonzert in der Carnegie Hall spielte sie einen Marsch aus Wagners Tannhäuser in der Bearbeitung von Liszt (vermutlich Searle 445a) sowie eigene Klavierkompositionen (Mesta Serenata, Gavotte, Polonaise). Am 14. Febr. 1895 folgte das erste eigene Konzert im Madison Square Garden: Von einem „concert of somewhat unique character“ schreibt die „Sun“: „The affair was peculiar, in that its programme consisted solely of the compositions of one person, and that a woman. […] On this occasion Mme. Ruta’s works [u. a. Danza mistica für Orchester; Klavierkonzert; Bolero für Klavier und Orchester] were performed by a small orchestra, under Signor [Enrico Modista] Bevignani of the Italian Opera Company, by a chorus of ladies from the Rubinstein Club, and by herself. […] Mme. Ruta demonstrated that she possesses much talent for composing, and considerable also in her piano interpretations. There is a naïveté about her writing as well as about her playing which is not often seen, and which speaks for the sincerity of the woman. She evidently has a keen sense of the meaning of music and much ardent feeling for it“ (The Sun 15. Febr. 1895).

Bis 1901 lassen sich weitere Auftritte von Gilda Ruta in New York belegen, u. a. mit dem New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Julius Lorenz, Franz Kaltenborn sowie Anton Seidl. Wiederholt trat sie zusammen mit ihrer Tochter in Erscheinung: „Maestra Contessa Gilda Ruta, of the Ricciardi and Maiori Companies, and her daughter Anna performed at music halls and gave classical concerts in her upper eastside home“ (Aleandri, S. 31). Besondere Beachtung seitens der Presse fand ein Konzert am 11. Febr. 1901 in der Wissner Hall, in dem ihr Sohn mit seinem Streichquartett – dem Ruta Quartet – debütierte. Gilda Ruta trug in diesem Rahmen neben Andante spianato et Grande polonaise brillante op. 22 von Chopin ihre Mesta Serenata, Gavotte C-Dur sowie ein Scherzo aus eigener Feder und zusammen mit dem Ruta-Quartett Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44 vor. Der „Brooklyn Daily Eagle“ schreibt: „Mme. Ruta, pianist, is a favorite with Brooklyn audiences and has never been heard with more pleasure than last evening. The Chopin number was finely interpreted, her technic ample, her finger work vigorous, crisp and elastic, with a fine command of tone color“ (Brooklyn Daily Eagle 12. Febr. 1901).

Neben ihrer Konzerttätigkeit erteilte Gilda Ruta Unterricht. In ihren letzten Lebensjahren war sie an der von ihren Kindern gegründeten Musikakademie tätig und unterrichtete hier Klavier und Komposition. Am 26. Okt. 1932 starb Gilda Ruta im Alter von 79 Jahren im St. Vincent’s Hospital. Post mortem wurde sie besonders für ihre Kompositionen gerühmt, von denen über 100 bekannt sind.

 

 

WERKE für Klavier (und andere Instrumente)

Galoppa [1875]; Polka, Neapel: Maddaloni 1876; Gavotta per violoncello con accompagnamento di pianoforte, Turin: Giudici & Strada 1883; Prima Gavotta, Mailand: Ricordi 1884; Seconda Gavotta, Mailand: Ricordi 1884; Allegro appassionato, Mailand: Ricordi 1884; Aria di Danza, Mailand: Ricordi 1884; Bourrée, Mailand: Ricordi 1884; Danza del XVII secolo, Mailand: Ricordi 1884; Elegia, Mailand: Ricordi 1884; Mesta Serenata, Mailand: Ricordi 1884; Primavera. Bozzetto caratteristico, Mailand: Ricordi 1884; Scherzo, Mailand: Ricordi 1884; Soave melanconia. Barcarola, Mailand: Lucca 1884; Partita (Preludio e fuga, Andantino, Gavotta e musette, I et II Sarabanda, Allegretto cromatico, Burlesca), Mailand: Ricordi 1885; Polacca, Mailand: Ricordi 1885; Siciliana, Mailand: Ricordi 1885; Suite a canoni (Arietta, Bourree, Giga, Minuetto, Prelude, Sarabanda), Mailand: Ricordi-Lucca 1885; Tempo di Gavotta e Musette, Mailand: Ricordi 1885; Zingaresca, Mailand: Ricordi-Lucca 1884; Suonata per violino e pianoforte, Turin: Giudici & Strada 1888; Polacca di concerto, Turin: Giudici e Strada 1889; Bolero, Turin: Giudici e Strada [1889]; Capriccio brillante, Turin: Giudici & Strada 1889; Romanza senza parole per violoncello con accompagnamento di pianoforte, Turin: Giudici & Strada 1889; Andante e Rondò, Turin: Giudici & Strada [1889/1890]; Tempo di Minuetto, Mailand: Ricordi 1890; Zingaresca, Mailand: Ricordi 1890; Trois morceaux pour piano (Secondo Scherzo, Sérénade, Fantasticando), Florenz: Forlivesi e C. 1890; Farfallette in giro per pianoforte a 4 mani, Mailand: Ricordi [um 1892]; Cuore su cuore. Walzer, Mailand: Pigna [vor 1895]; Allegro agitato di concerto, Mailand: Pigna [1895]; Elegie; Gavotta für Violine und Klavier/Violoncello und Klavier/Klavier; Notturno, Turin: Giudici & Strada; Notturno polacco; Tre Pezzi (Fantasticando, Impromptu [Forlivesi], Secondo scherzo); Serenade; Konzert für Klavier und Orchester [um 1887]

 

LITERATUR

Brooklyn Daily Eagle 1896, 17. Mai, 15. Dez.; 1901, 9., 12. Febr.

Il Carroccio. The Italian Review [New York] 1918, S. 265

Daily Sentinel [New York] 27. Okt. 1932

Elmira Daily Gazette and Free Press 8. Jan. 1895

The Evening Leader [Corning/NY] 27. Okt. 1932

The Evening Post [New York] 12. Febr. 1895

The Evening Telegram [New York] 23. Febr. 1895

Gazzetta Musicale di Milano 1883, 30. Sept., 11. Nov.; 1884, 13. Jan.; 1884, 13., 27. Apr., 8. Juni, 10. Aug.; 1885, 15. März, 19. Apr., 12. Juli; 1886, 3. Jan., 23. März; 1887, 6. Febr., 3. Apr.; 1889, 31. März, 5. Mai, 9. Juni; 1894, 2.  Dez.;

Le Ménestrel 1889, S. 158, 238

Miami Herald 1922, 18., 24., 27., 28., 29., 30. Nov., 2., 7., 8., 11., 16., 17., 22., 27., 28. Dez.

Miami News 1922, 2., 4. Dez.

The Milwaukee Sentinel 15. Febr. 1895

Monthly Musical Record 1889, S. 162

Musical Standard 1884 I, S. 56; 1909 II, S. 91

MusW 1889, Juli, S. 496

Napoli Musicale. Giornale di musica ed arti affini 1869, 23. Juli; 1870, 10. Apr.; 1873, 22. März; 1874, 5. Mai, 21. Dez.; 1875, 10. Apr., 23. Mai, 25. Okt.; 1876, 7. Jan., 4. Aug,

New York Daily Tribune 1896, 21. Juli; 1914, 28. Apr., 3., 10. Mai

New York Herald 1895, 8., 15. Febr.

New York Times 1894, 13. Nov.; 1895, 8., 13., 14. Febr.; 1896, 19. März

Philadelphia Inquirer 13. Nov. 1894

Signale 1884, S. 538; 1885, S. 226, 343; 1886, S. 129; 1887, S. 490; 1890, S. 182

The Standard Union [Brooklyn] 1897, 15., 16. Nov.; 1914, 15. Jan.

The Sun [New York] 1895, 5., 14., 15. Febr., 15., 22. Dez.; 1932, 27., 29. Okt.

Sunday Herald [New York] 28. März 1896

Schmidl, Cohen

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Giorgio Ruberti, Art. „Ruta, Gilda“, in: Dizionario biografico degli italiani, 2017, http://www.treccani.it/enciclopedia/gilda-ruta, Zugriff am 9. Aug. 2022.

 

Bildnachweis

Zeichnung von Andrea Baroncelli (1870–1917), Titelseite der Gazetto Musicale di Milano 29. Juni 1884.

Photographie von Giulio Rossi 1824–1884), Mailand. Archivio Storico Ricordi (Mailand), mit Dank an Giovanni Vigliar für die Übermittlung der Bilder und das Mitteilen seiner Forschungen zu Gilda Ruta.

 

Annkatrin Babbe

 

 

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