Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

SchmelingSchmehling, Schmelling, SchmaelingSchmaehling, Gertrud, Gertrude, Elisabeth, verh. Mara

* 23. Febr. 1749 in Kassel, † 20. Jan. 1833 in Reval (heute Tallinn), Violinistin, Gitarristin, Cembalistin, Sängerin. Ihr Vater Johann Schmeling war Violinist und Stadtmusiker und bildete seine Tochter, die als achtes von zehn Geschwistern aufwuchs, an der Violine aus. Trotz ihrer schwachen Gesundheit (sie litt an Rachitis) machte sie auffallend schnelle Fortschritte. Mit sechs Jahren stellte der Vater sie in Frankfurt a. M. und Wien der Öffentlichkeit vor, wo sie nach Auskunft der Selbstbiographie „durchgängig bewundert [wurde], vielleicht weil (zu der Zeit) ich das erste Kind war, welches etwas leistete“ (Mara, Sp. 500). Geige spielende Frauen gab es zu dieser Zeit allenfalls an den Höfen, während in bürgerlichen Kreisen sogar bei einem Kind Vorsorge gegen den Eindruck der „Unschicklichkeit“ getroffen wurde: „Ich wurde in einen Amazonen-Habit [lose fallende bodenlange Kleidung für Reiterinnen] gekleidet, weil man fand, dass dieser Anzug am besten zur Violine passe“ (ebd.). Carl Ludwig Junker sollte in seiner Abhandlung „Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens“ 1784 diesen Gedanken ebenfalls aufgreifen: Man „sehe das nemliche [Geige spielende] Frauenzimmer, nun im Amazonenhabit, also in einer Kleidung spielen, in welcher sie sich dem Manne, mehr annähert, und jenes Gefühl des Unschicklichen wird um vieles geschwächt“ (Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens, S. 94).

Es schloss sich eine Konzertreise an, die über Brabant, Flandern, Lüttich, Antwerpen, Rotterdam, Den Haag, Harlem, Leeuwarden 1759 nach London führte. Dort machten Vater und Tochter die Bekanntschaft von Karl Friedrich Abel sowie dem Violinisten Felice de Giardini und versuchten, sich im Konzertleben der Stadt zu etablieren. Das erste Konzert fand am 17. März 1760 im Stadtteil Soho statt, bei dem die elfjährige Elisabeth laut Ankündigung nicht nur ein „Concerto Violin“ vortrug (Public Advertiser 12. März 1760), sondern auch eine durch Krankheit verhinderte Sängerin vertrat. In einem Hofkonzert hatte sie die Gelegenheit, sich als Geigerin zu präsentieren. Am 23. Apr. 1760 ist ein Konzert im Haymarket-Theater belegt, in dem sie zusammen mit anderen Kindern, u. a. mit der neunjährigen Tochter Charles Burneys (Cembalo), ein Quartett aufführte. Während einer Keuchhusten-Erkrankung lernte Elisabeth Gitarre zu spielen und gewann den portugiesischen Gitarristen Rodorigo zum Lehrer. Im September 1760 erwähnt das „London Magazine“ den Aufenthalt von Tochter und Vater in Exeter, wo die junge Musikerin nicht nur singt, „but also plays surprisingly well on the violin and the guittar“ (London Magazine 1760, S. 489). Der Selbstbiographie zufolge gab sie das Geigenspiel anschließend auf, „weil einige englische Damen es nicht kleidend für ein Mädchen fanden“ (Mara, S. 515), und wandte sich vorwiegend dem Gesang zu. Immerhin beschreibt sie, wie nützlich das Erlernen eines Streichinstrumentes für ihre Gesangskarriere war: „Der Violine habe ich aber gewiss mein feines Gehör zu verdanken, folglich auch die besondere reine Intonation, welches durchgängig aufgefallen ist, auch die Festigkeit in der Musik, und Accuratesse im Tact, die Verschiedenheit im Vortrag der Passagen, welche ich zu accentuiren suchte, wie es ein guter Violinist mit dem Bogen thut. […] Ich rathe einem jeden, welcher Sänger oder Sängerinnen bilden will, darauf zu sehen, dass sie die Violine oder Violoncell spielen lernen“ (ebd.).

Weitere Stationen in England waren Rochester, Canterbury und Dover, bevor Vater und Tochter 1761 nach Irland reisten. Die Rückkehr nach England erfolgte 1763, wo sich Auftritte in York und anderen Städten ergaben. Nun wurde auch eine Ausbildung am Cembalo und im Generalbass begonnen. Elisabeth Schmeling scheint sich in dieser Zeit (sie war inzwischen 14 Jahre alt) zunehmend auf den Gesang konzentriert und die Gitarre hauptsächlich als Begleitinstrument genutzt zu haben. Nach einer dreimonatigen Arretierung ihres Vaters wegen Geldschulden gelang 1765 die Rückkehr auf den Kontinent, wo sich in den folgenden Jahren über eine Anstellung am Großen Konzert in Leipzig (1766) und an der Berliner Hofoper (1771) ihre für eine Deutsche beispiellose Karriere als Sängerin entwickelte.

Der Literaturwissenschaftler Eugen Wolff hat die Hypothese aufgestellt, Goethe habe für die Figur der Mignon im „Wilhelm Meister“ die Kindheit der Mara zum Vorbild genommen. Goethe hörte die Sängerin zwar seit ihrer Leipziger Zeit verschiedentlich und widmete ihr 1831 ein Huldigungsgedicht; es ist aber ungewiss, ob er Details aus ihrer Kindheit kannte, da die Selbstbiographie erst 1875 publiziert wurde.

 

LITERATUR

„Eine Selbstbiographie der Sängerin Gertrud Elisabeth Mara“, mitgetheilt von O. von Riesemann, in: Allgemeine Musikalische Zeitung Bd. 10 1875, Sp. 497–501, 513–517, 529–535, 545–550, 561–565, 577–582, 593–597, 609–613.

Ledebur, Brown Bio, MGG 1, Baker 5, Riemann 12, Sartori Enci, Honegger Dict, Riemann Erg, New Grove 1, Cohen, MGG 2000

Public Advertiser [London] 12. März 1760

The London Magazine, or, Gentleman’s Monthly Intelligencer Sept. 1760, S. 489

London Chronicle 13. Sept. 1760, S. 581

[Carl Ludwig Junker,] „Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens“, in: Musikalischer und Künstler-Almanach auf das Jahr 1784, Freyburg] 1784, S. 85–99.

Carl Ferdinand Pohl, Mozart und Haydn in London, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1867, Repr. London u. New York 1970.

T. L. Phipson, Famous Violinists and Fine Violins. Historical Notes, Anecdotes, and Reminiscences, London 1896.

F. G. E., „Lady Violinists, in: The Musical Times 1906, S. 662–668.

Eugen Wolff, Mignon. Ein Beitrag zur Geschichte des Wilhelm Meister, München 1909.

Hans Berendt, Goethes „Wilhelm Meister“. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte, Dormund 1911.

R. Kaulitz-Niedeck, Die Mara. Das Leben einer berühmten Sängerin, Heilbronn 1929.

 

Freia Hoffmann

 

© 2009 Freia Hoffmann