Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Biehler, Ludmilla

* 1. Sept. 1833 in Wien, † 27. Okt. 1897 in Baden bei Wien, Pianistin und Komponistin. Sie war die erstgeborene Tochter des vermögenden Seidenfabrikanten Tobias Biehler (18101890) und seiner Frau Elisabeth geb. Jacobi (18151846). Die früh verstorbene Mutter ließ neben der 13-jährigen Ludmilla noch vier jüngere Kinder zurück. Der Vater blieb danach unverheiratet. Er engagierte sich im Gemeinderat der Stadt Wien, setzte sich gegen soziale Missstände im Schul- und Bildungswesen und für die Gründung von Volksbibliotheken ein. Daneben war er Kunst- und Musikliebhaber und veranstaltete in seinem Haus Konzerte, in denen er seine Tochter Ludmilla als Pianistin präsentierte. Ihre ersten musikalischen Schritte unternahm Ludmilla Biehler vermutlich „unter der Obhut ihres Vaters und unter der Leitung der ersten Meister der Wiener Schule“ (Illustrirte Zeitung 1852 II, S. 92). Später erhielt sie Klavier- und möglicherweise auch Kompositions-unterricht von Richard Löffler, einem Wiener Pianisten, Komponisten und Klavierlehrer. 1850 oder 1851 unternahm sie gemeinsam mit ihrem Vater eine Konzertreise, die sie durch Frankreich, Belgien, England, Holland und Deutschland führte. Zurück in Wien, gab sie am 16. Nov. 1851 im Musikverein ein Konzert, bei dem sie auch eigene Werke vortrug. Es folgte ein Konzert in Graz am 11. Dez. 1851, das  die „Grazer Zeitung" ausführlich würdigte: „Ganz abgesehen davon, daß es dem Geschmacke der Concertgeberin alle Ehre macht, ihre Kunstleistungen mit Beethoven'scher Musik zu beginnen, so spielte sie den ersten Satz der C-moll-Sonate mit solcher Virtuosität, daß das versammelte, sehr gewählte Publikum ihre Leistung mit dem wärmsten Beifall aufnahm. Dieser steigerte sich jedoch beim Vortrage ihrer eigenen Compositionen zu Enthusiasmus, worunter besonders  die Jeux des bergers die Zuhörer in einem solchen Grade electrisirten, daß die Wiederholung stürmisch verlangt wurde. [...] Die Künstlerin besitzt einen sehr schönen Anschlag, einen auf's Höchste ausgebildeten Triller, eine Gewandtheit und Kraft einerseits, andererseits eine Zartheit, wenn die Töne, die sie den metallenen Saiten zu entlocken weiß, im traulichen Kosen und süßen Geflüster dahinwehen, daß wir sie mit Recht den ersten Pianistinnen der Jetztzeit an die Seite stellen können" (zit. nach Illustrirte Zeitung 1851 II, S. 454).

Danach gab sie einige Konzerte in Karlsbad. Der Quellenlage zufolge brach ihre Konzerttätigkeit Mitte der 1850er Jahre ab. „In letzterer Zeit hat sie sich nicht mehr öffentlich hören lassen und sich vorzugsweise der Composition zugewendet“ heißt es bei Wurzbach zur Begründung. Wahrscheinlich ist, dass der frühe Abbruch ihrer pianistischen Laufbahn auch mit der beginnenden politischen Karriere ihres Vaters zusammenhing. Während er sie früher auf Reisen begleitet und sich für ihr Fortkommen eingesetzt hatte, bezog er sie fortan in eigene Vorhaben ein. Eva Marx deutet das Vater-Tochter-Verhältnis dahingehend, dass Ludmilla Biehler ihrem Vater „die Rolle der fehlenden Gefährtin an seiner Seite“ ersetzte (Marx/Haas, S. 77) und ihre eigene Lebensführung jeweils seinen Interessen anpasste. Als ihr Vater 1868 das Rentenalter erreichte, wandte er sich erneut der Musik zu. Anfang der 1870er Jahre verlegte er den gemeinsamen Wohnsitz nach Weikersdorf (nächst Baden bei Wien) und veranstaltete Hauskonzerte, die vom Wiener Konzertpublikum stark beachtet wurden. Ludmilla Biehler glänzte hier erneut als Pianistin und tat sich, wie schon in früheren Zeiten, besonders als Beethoven-Interpretin hervor. Sie blieb an der Seite ihres Vaters bis zu seinem Tod durch Suizid im Jahre 1890. Die gemeinsame Villa in Weikersdorf ging bereits 1891 an eine andere Eigentümerin über. Für Ludmilla Biehlers letzte Jahre (1896, 1897) liegen nur Belege für Kuraufenthalte in Baden vor.

 

WERKE FÜR KLAVIER

Nocturne op. 6; Souvenir à Bucarest op. 7; Jeux de Bergers (Idylle) op. 10 (1856); L’Allegresse (Impromptu) op. 15 (1856); Sérénade mauresque, de Kücken, transcr. op. 19 (1865); La dernière Rose, de Flotow, varié, op. 20 (1865)

Werke ohne Opuszahl: La Tendresse (1857); Impromptu (1857), Caprice de Concert sur le Profet; Peine d’amour; Souvenir à Hombourg, Grande Fantaisie sur les motifs de Hunyady László, d ‘Ernani

 

LITERATUR

Sterbe-Register St. Helena in Baden bei Wien, Sterbebuch 1893–1913, S. [24].

Bock 1855, S. 277

Cur- und Fremdenliste des Curortes Baden bei Wien 1896, 1. Mai; 1897, 1. Mai

Fremden-Blatt [Wien] 1851, 16. Nov.; 1853, 18. Dez.

Grazer Tagblatt 14. März 1895

Illustrirte Zeitung [Leipzig] 1851 II, S. 494; 1852 II, S. 92

Die Presse [Wien] 15. Nov. 1851

Wiener Zeitung 18. Nov. 1851

Wurzbach, Cohen, Marx/Haas, OeML

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim [u. a.] 1979.

 

Bildnachweis

Marx/Haas, S. 75

 

Hanna Bergmann/FH

 

© 2009/2022 Freia Hoffmann