Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

BidoBydoBidó, Amelie, Amélie, AmelyEmilie, verh. Schmidt, Schmit

* 1844 wohl in Pest (nach anderer Angabe 1843 in Wien), Sterbedaten unbekannt, Violinistin. Sie begann fünfjährig mit dem Violinspiel. Bereits mit sieben Jahren wurde sie Schülerin am Konservatorium in Graz, wo sie 1852 bei einer öffentlichen Prüfung einen ersten Preis errang. Die Namen der ersten Lehrer sind unbekannt. Nach jetzigem Forschungsstand war Amelie Bido damit im deutschsprachigen Raum die erste Geigerin überhaupt, die – wenn auch als Kind – eine institutionelle Ausbildung genoss.

Wohl 1853 wurde ihr Vater, ein österreichischer Beamter, nach Prag versetzt. Amelie Bido erhielt nun Unterricht von Moritz Mildner (18121865). Im folgenden Jahr wechselte sie nach Wien und wurde, ebenfalls in privatem Lehrverhältnis, Schülerin Josef Mayseders (17891863). Ihre letzte Ausbildungsstation war das Brüsseler Konservatorium, wo ab 1857 Hubert Léonard (18191890) ihr Lehrer war. Dort gewann sie 1859 beim „Concours des Artistes“ des Konservatoriums den ersten Preis.

Bereits 1857 ist ein erstes Konzert in Brașov (Kronstadt) nachweisbar. Um den Jahreswechsel 1857/58 trat sie in Graz und Ljubljana auf, darauf spielte sie in Klagenfurt. 1859 mehrten sich die Auftritte, sie spielte u. a. in Augsburg, Köln, München, Salzburg und Stuttgart. 1860 konzertierte sie in der Schweiz, in Berlin, Frankfurt a. M., Karlsruhe und München, aber auch in Schweden und Finnland, 1861 in Paris, Amsterdam und ihrem Ausbildungsort Brüssel sowie in mehreren Städten des deutschen Raumes (Berlin, Köln, Wiesbaden, Leipzig, Würzburg). Im Sept. 1861 trat sie zudem im Rahmen des Westfälischen Musikfests in Dortmund auf. Auch 1862 ließ sie sich vorwiegend im deutschen Sprachraum hören, sie musizierte u. a. in Leipzig im Gewandhauskonzert, in Jena, Erfurt, Nürnberg, München (mit dem Pianisten Mortier de la Fontaine), Homburg, Leipzig, Naumburg, Wiesbaden und Magdeburg. Auch im Jahr darauf spielte sie im deutschen Sprachgebiet, aber auch in den Niederlanden und der Schweiz. Ab ca. 1863 nahm die zuvor hohe Frequenz ihrer Auftritte offenbar ab.

 

Visitenkarte mit Porträt 8,9 x 5,5 cm, ca. 1860, unbekannter Photograph.

 

Die Geigerin heiratete 1864 in London Dr. jur. O. Schmidt aus Breslau, gab jedoch ihre öffentliche künstlerische Tätigkeit nicht auf. Im selben Jahr spielte sie dort im Mai in zwei Konzerten in den Hanover Square Rooms, danach in einer eigenen Matinee („the immediate patronage of their Royal Highness the Prince and Princess of Wales“, Bock 1864, S. 348) im Konzertsaal der Marquise von Downshire. Eine Meldung, nach der sie mit ihrem Mann 1864 eine Reise nach Java und Australien antrat, kann bisher nicht verifiziert werden. 1865 war sie indes in Breslau, 1866 in Löwenberg, Liegnitz, Görlitz und Berlin zu hören. Auch 1867 spielte sie in Berlin, dazu in Potsdam und Magdeburg, 1868 in Danzig und Torgau. Im folgenden Jahr betrat sie in Zwickau das Podium, aber auch in Oldenburg (mit Albert Dietrich). 1870 konzertierte sie in Lüneburg und Bremen, 1871 in Dänemark (Kopenhagen und Klampenborg). Es findet sich auch die Ankündigung eines Konzertes in Stralsund. Für die Folgezeit lassen sich keine Informationen über Konzerte und Biographie der Geigerin mehr ermitteln.

Offensichtlich kam Amelie Bido in den Genuss einer umfangreichen Ausbildung bei in ihrer Zeit renommierten Lehrern, sie dürfte eine sehr gute Geigerin gewesen sein. „Vor Kurzem erst sechszehn Jahre alt geworden, vereinigt diese junge Künstlerin einen merkwürdig kräftigen und vollen Ton mit einer bereits hochgebildeten Technik, welche nicht blos im Verhältniss zu ihrer Jugend, sondern ganz abgesehen davon vorzüglich anerkennungswerth sind“ (Bock 1859, S. 278). Konkreter wird der Rezensent der „Laibacher Zeitung“, der Amelie Bido „eine ausgezeichnete Technik, eine Sicherheit in Doppelgriffen, ein vortreffliches Staccato und eine leichte, ruhige Bogenführung“ (2. Jan. 1858) attestiert. Wie andere Violinistinnen der Zeit, so wurde auch Amelie Bido im Kontext von Geschlechterzuordnungen rezipiert. Auch der bei der Beschreibung von Geigerinnen immer wieder anzutreffende Milanollo-Vergleich fehlte nicht. Der Münchener „Schatzgräber“: „Man pflegt sonst mit der Erscheinung eines Violin spielenden Mädchens die Vorstellung von Weichheit, Zierlichkeit, Zerflossenheit des Ausdrucks zu verbinden, sich etwa das Bild des unvergeßlichen Schwesternpaares Milanollo zu vergegenwärtigen; wenn Frl. A. Bido den Letztgenannten auch in technischer Ausführung nahe steht, so bildet sie doch hinsichtlich der Innerlichkeit ihres Spiels den polaren Gegensatz zu denselben. Wie schon die Wahl der Konzertstücke und der Komponisten (Wieniawski, Vieuxtemps, J. S. Bach) erweisen dürfte, ist ihr künstlerisches Wesen – trotz der Lieblichkeit ihrer äußern Erscheinung – das Gegentheil von gewohnter, weiblicher Sentimentalität, keck, frisch, entschieden. Der Bogen beherrscht mit männlicher Macht und Festigkeit der Saiten, daß ihnen zürnend und donnernd der Strom der Töne entrollt. Seltener, aber um so wirksamer entfließt ein süßer schmelzender Hauch ihren Fingern“ (Schatzgräber. Beiblatt zur Isarzeitung 9. Apr. 1862).

 

In den ersten Jahren ihrer Konzerttätigkeit stellte Amelie Bido, der Provenienz ihrer Geigenausbildung entsprechend, Werke der franco-belgischen Violinschule in den Mittelpunkt ihrer Programme. So finden sich in ihren Konzerten um 1860 immer wieder Geigenstücke ihres Lehrers Hubert Léonard ebenso wie Kompositionen des ebenfalls am Brüsseler Konservatorium ausgebildeten Henri Vieuxtemps. Auch Musik ihres früheren Lehrers Mayseder hat sie gespielt. Andere typische Virtuosenwerke gehörten ebenfalls zu ihrem Programm, etwa die technisch hoch anspruchsvolle Othello-Phantasie Heinrich Wilhelm Ernsts oder der Hexentanz Paganinis. Über solch typischen Virtuosenwerke hinaus gestaltete Amelie Bido ihre Programme vielseitig, spielte beispielsweise eine der Klavier-Violin-Sonaten Beethovens, dessen F-Dur-Romanze und Mendelssohns Violinkonzert e-Moll. Sie betätigte sich zudem – jeweils mit ortsansässigen Musikern – als Kammermusikerin (z. B. Beethoven-Quartette, aber auch Schuberts Klaviertrio B-Dur D 898). Auch entwickelte sie ein offenkundiges Interesse an Alter Musik. So trat sie etwa 1866 in Berlin in Konzerten auf, „in denen sie besonders selten gehörte Compositionen von Bach und Werke der älteren und italienischen Schule vorzuführen gedenkt“ (NZfM 1866, S. 417).

 

LITERATUR

Åbo Tidningar 5. Juni 1860

Åbo Underrättelser 2. Juni 1860

Allgemeine Zeitung [Augsburg] 26. Nov. 1859

AmZ 1863, Sp. 273, 535; 1864, Sp. 334

L’Année Musicale 1862, S. 171

The Athenæum 1862 I, S. 470

Der Bayerische Landbote 17. Nov. 1859

Berner Taschenbuch auf das Jahr 1865, S. 205

Bock 1859, S. 278; 1861, S. 79, 157, 413; 1862, S. 37f., 46, 373, 381; 1863, S. 189; 1864, S. 348f.; 1867, S. 85; 1870, S. 156; 1871, S. 255, 439

Didaskalia oder Blätter für Beist, Gemüth und Publizität [Frankfurt a. M.] 10. Dez. 1864

Dwight’s Journal of Music, 1861 S. 304

Finlands Almänna Tidning 29. Mai 1860

FritzschMW 1870, S. 398

Le Guide Musical 1861, unpag.

Intelligenz-Blatt der freien Stadt Frankfurt, 1860, S. 1158

Intelligenzblatt für die Stadt Bern 1860, 12., 21., 26., 27., 28. Jan.

Journal de Genève 1860, 1., 4., 8., 9. Febr.; 1863, 21., 25., 31. Okt.

Klagenfurter Zeitung 13. Jan. 1858

Kronstädter Zeitung 19. Mai 1857

Laibacher Zeitung 2. Jan. 1858

Leeuwarder Courant 1863, 17., 27. Febr., 3. März

Le Ménestrel 1860, S. 351; 1861, S. 215

Münchener Theater-Journal 1859, S. 157

MusW 1861, S. 293, 740; 1864, S. 445, 459

Nachrichten für Stadt und Land [Oldenburg] 26. Mai 1869

Niederrheinische Musik-Zeitung 1859, S. 272

NZfM 1860 I, S. 59, 88, 98; 1860 II, S. 23; 1861 I, S. 38, 47, 209; 1861 II, S. 43; 1862 I, S. 55, 66, 123; 1862 II, S. 180, 198, 208f., 220, 221, 226; 1863 I, S. 153, 168, 219; 1864, S. 407; 1865 , S. 33, S. 423; 1866, S. 417; 1867, S. 14, 43, 90, 98, 106, 119, 126; 1868, S. 65, 240, 258; 1869, S. 234; 1871, S. 269, 320, 439

The Orchestra 1864, S. 402, 612, 629

Papperslyktan 1860, S. 159, 176, 184

RGM 1860, S. 239; 1861, S. 61, 69, 118, 129; 1872, S. 76, 239

Schatzgräber. Beiblatt zur Isarzeitung [München] 9. Apr. 1862

Schwäbische Kronik [Stuttgart] 2. Dez. 1859

Signale 1861, S. 154, 283, 461; 1862, S. 134, 710; 1864, S. 857; 1866, S. 382

Süddeutsche Musik-Zeitung 1860, S. 167; 1862, S. 36; 1864, S. 180

Wiener Theaterzeitung (Bäuerle) 18. März 1858

Wiborg 8. Juni 1860

Leonard Höijer, Musik-Lexikon, Stockholm 1864 (Art. Bido).

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim [u. a.] 1979.

 

Bildnachweis

Konzertprogramm, Åbo Akademis Bibliotek, http://web.abo.fi/library/aab/hereditas/musik/, Zugriff am 4. Nov. 2009.

Photographie, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, https://smb.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=73529, Zugriff am 12. Sept. 2022.

 

Volker Timmermann

 

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