Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Thegerström, Tegerström, Hilda, HildeKilda (Aurora)

* 17. Sept. 1838 in Stockholm, † 6. Dez. 1907 ebd., Pianistin, Komponistin und Klavierlehrerin. Hilda Thegerström erlangte in Schweden vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine herausragende Bedeutung als Pianistin und Klavierlehrerin. In seinem Buch „Meister des Klaviers“ schreibt Walter Niemann über sie: „Was die Rée und Neupert Dänemark, was die Lie-Nissen und Backer-Gröndahl Norwegen, wurde Schweden Hilda Thegerström in Nachfolge J[oh]an van Booms […]: die bedeutendste, durch Marmontel in Paris und durch Liszt gebildete Klaviervirtuosin und die überragende pianistische Lehrmeisterin ihres Vaterlandes neuerer Zeit“ (Niemann, S. 119).

Trotz der finanziell prekären Situation ihrer Eltern, von Anna Fredrika Charlotta geb. Hammarqvist und dem Lebensmittelhändler Johan Thegerström (?–1868), erhielt Hilda Thegerström eine frühe musikalische Ausbildung, die ein namentlich unbekannter Mäzen ermöglichte. Die Brüder der Pianistin, Johan Arvid und Hugo Edvard, traten keine musikalische Laufbahn an. Johan Arvid wurde Seefahrer und versuchte in den 1850er Jahren nach Brasilien überzusiedeln.

Ihren ersten Unterricht erhielt Hilda Thegerström in der Musikschule von Adolf Fredrik Lindblad (1801–1878), der nach der Logier-Methode lehrte. Wohl auf Lindblads Empfehlung übernahm anschließend zunächst Johan van Boom (1807−1879) die Ausbildung. Weiteren Unterricht erhielt die Musikerin von 1852 bis 1856 bei Franz Berwald (1796−1868), der als Mentor die Karriere Hilda Thegerströms auch über den Unterricht hinaus unterstützte. Er widmete ihr sein Klavierkonzert in D-Dur (1855) sowie das Klavierquintett Nr. 1 c-Moll. 1856 erfolgten die ersten öffentlichen Auftritte Thegerströms in Stockholm. Mit der Hovkapell spielte die Pianistin am 1. Apr. des Jahres die letzten beiden Sätze aus Chopins Konzert Nr. 2 f-Moll op. 21, außerdem Beethovens Sonata Appassionata op. 57 und eine Rhapsodie von Liszt.

In der nächsten Zeit gab die Musikerin erste Kompositionen heraus. Zu den frühen Werken zählen die Klavierstücke La naïveté op. 1 und Nocturne et Rondoletto op. 2, die wohl auf Berwalds Vermittlung hin beim Verlag Friedrich Kistner in Leipzig unter dem Titel Souvenirs Suédois publiziert wurden.

1857 erhielt die Pianistin ein staatliches Stipendium für eine Studienreise ins Ausland. Sie ging zunächst nach Paris, wo sie für einige Monate Unterricht bei Antoine-François Marmontel (1816−1898) nahm. Sowohl die finanzielle Förderung als auch der Kontakt zu Marmontel werden dabei auf die Initiative Berwalds zurückgeführt. Noch 1857 reiste sie nach Weimar und setzte ihre Studien bis zum Sommer 1859 bei Franz Liszt fort.

In Schweden bereits früh als Pianistin bekannt, feierte Hilda Thegerström 1859 mit einem Auftritt in Weimar nun ihr Auslandsdebüt. Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte sie in demselben Jahr vor allem durch einen Auftritt im Rahmen der Tonkünstlerversammlung in Leipzig. In einer privaten Matinee führte sie zusammen mit dem Violoncellisten Friedrich Wilhelm Grützmacher Berwalds Grand Duo B-Dur op. 7 auf. In den nächsten Monaten folgten weitere Auftritte der Pianistin in Weimar, u. a. auch am Hof. Ebenfalls 1859 kehrte sie nach Schweden zurück, gab dort eine Sammlung von Fingerübungen für das Klavierspiel (Nägra Elementar-Piano-Fingeröfningar) heraus und konzertierte in den nächsten Jahren in Stockholm und umliegenden Städten sowie in Göteborg, wo sie von 1863 bis 1868 auch als Klavierlehrerin arbeitete. Zwischen 1864 und 1869 reiste sie wiederholt nach Deutschland, um in Berlin bei dem Liszt-Schüler Carl Tausig die eigenen Studien voranzubringen.

Zwischen 1865 und 1867 ließ sich Hilda Thegerström wiederholt in München hören, wo sie 1860 erstmals aufgetreten war. Ein Rezensent schreibt hierüber: „Ihrem Spiele rühmen wir große Geläufigkeit und musikalische Auffassung nach, gestehen jedoch, daß wir durch ein übertriebenes Markiren, was durch den Gebrauch des ganz neuen, zum ersten Male gespielten Instruments erklärt wurde, uns unangenehm berührt fühlten“ (Unterhaltungs-Blatt der Neuesten Nachrichten 1865, S. 1104). Nach einem weiteren Auftritt in München im Januar 1867 lobt die „Bayerische Zeitung“ vor allem die „sehr achtungswerthe Technik“ (Bayerische Zeitung 1867, S. 183) der Pianistin.

Im Herbst 1869 befand sich Hilda Thegerström wieder in Schweden. Am 16. Okt. veranstaltete sie ein Konzert in Jönköping, in dem sie u. a. Werke von Chopin, Liszt und Haydn spielte. Einer der letzten Konzertbelege findet sich für das Jahr 1885 in Uppsala.

1872 nahm Hilda Thegerström den Ruf als erste Klavierlehrerin an die Königl. Schwedische Akademie der Musik in Stockholm an und übernahm damit gleichzeitig die Stelle ihres früheren Lehrers van Boom. Walter Niemann hebt die Bedeutung der Künstlerin als Pädagogin hervor: „Aus ihrer Schule gingen fast alle namhaften modernen schwedischen Konzertpianistinnen hervor, und ihre eigene, halb schwedische, halb französische Schulung wird sofort, wie für die gesamte moderne schwedische Kunst, so auch für die moderne schwedische Klavierspielkunst symbolisch und bestimmend“ (Niemann, S. 191). In ihrer Position ermöglichte sie vielen Pianistinnen einen Zugang zur professionellen Musikausübung: „The influence of Hilda Thegerström on young aspiring female musicians can hardly be overestimated. Both as a successful concert pianist […] and as a highly respected pedagogue […] who supported her students in all possible ways, Thegerström was of central importance in helping to create a cultural climate in which women could strive towards the highest levels of professionality“ (Myers, S. 72).

Zahlreiche SchülerInnen Hilda Thegerströms erlangten in Schweden einen hohen Bekanntheitsgrad − als PianistInnen (darunter Thora Hwass, Alfred Roth, Laura Valborg Aulin, Märtha Ohlson, Natanael Broman, Hilma Lindberg-Svedbom und Lennart Lundberg) und als KlavierlehrerInnen (darunter Sigrid Carlheim-Gvllensköld, Robertine Bersén, Aurora Morlander und Richard Andersson).

Zu Beginn ihrer Lehrtätigkeit nahm Hilda Thegerström ihre Mutter bei sich auf. Jahre zuvor hatte sich die wirtschaftliche Situation ihrer Eltern derart verschlechtert, dass sie von Stockholm nach Västerbotten ziehen mussten. Die Festanstellung an der Schwedischen Akademie der Musik ermöglichte es Thegerström fortan den Unterhalt zu tragen.

1875 wurde sie zum Mitglied der Königlich Schwedischen Musikakademie gewählt und wurde 1895 mit der Litteris et Artibus-Medaille ausgezeichnet.

Nach 32 Jahren als Lehrerin an der Königl. Schwedischen Akademie der Musik verließ die Künstlerin diese Institution 1904 krankheitshalber. Die verbleibenden Lebensjahre verbrachte sie in Stockholm und verfügte in ihrem Testament eine Spende in Höhe von 25.000 SEK für die Franz Berwald Stiftung, die zwei Jahre nach ihrem Tod von dem Geiger Henri Marteau ins Leben gerufen wurde.

 

WERKE FÜR KLAVIER

La Naïveté op. 1; Nocturne et Rondoletto op. 2

 

LEHRWERK

Nägra Elementar-Piano-Fingeröfningar, Stockholm [1859].

 

LITERATUR

Aurora 1887, 26. Aug., 2. Sept.

Bayerische Badezeitung. Organ der bayerischen Kur- und Badeorte 1865, S. 145

Bayerische Zeitung 1867, S. 183

Blätter für Musik, Theater und Kunst [Wien] 14. Mai 1861

Borgåbladet 7. Nov. 1885

Folkets röst 19. März 1859

Fremden-Blatt [Wien] 12. Nov. 1865

Helsingfors Dagblad 7. Mai 1878

Illustrirte Zeitung [Leipzig] 1859 I, S. 403

Jönköpingsbladet 1859, 17. Dez.; 1869, 7., 19. Okt.

Leipziger Zeitung 11. Okt. 1857

NZfM 1857 II, S. 183; 1859 I, S. 287, 293; 1860 I, S. 137; 1861 I, S. 179; 1862 II, S. 26; 1871, S. 327, 1873, S. 323; 1883, S. 211

Niederrheinische Musik-Zeitung 1860, S. 328

Post- och Inrikes Tidningar 1856, 27. März; 1857, 18. Nov.; 1860, 18., 21. Apr.

Signale 1857, S. 468; 1865, S. 851; 1867, S. 951

Süddeutsche Musik-Zeitung 1859, 13. Juni; 1861, 20. Mai; 1865, 18. Dez.

Svensk Musiktidning 3. Jan. 1908

Sveriges och Norges Stats-Kalender 1876, S. 447, 449

Sveriges Statskalender 1881, S. 356; 1904, S. 417

Tidning för Wenerborgs stad och län 1859, 28. Apr.; 1882, 31. Aug.

Baker, Riemann 10, MGG 2000

Per Gustav Berg u. Wilhelmina Stålberg, Anteckningar om svenska qvinnor, Stockholm 1864−1866.

Lina Ramann, Aus der Gegenwart. Aufsätze über Musik. Für Musikfreunde, Nürnberg u. München 1868.

Arvid Ahnfelt (Hrsg.), Europas Konstnärer. Alfabetiskt ordnade biografier öfver vårt århundrades förnämsta artister, Stockholm 1887.

Adolf Lindgren u. Nils Personne (Hrsg.): Svenskt Porträttgalleri, 26 Bde., Bd. 21, Stockholm 1897.

Hans von Bülow, Briefe und Schriften, hrsg. von Marie von Bülow, 8 Bde., Bd. 3, Leipzig 1898.

Arthur Elson, Woman's work in music, Boston 1904, Repr. Portland 1976.

Tobias Norlind, Allmänt musiklexikon, Stockholm 1916.

Georg Nordensvan, Svensk Teater och svenska Skådespelare. Från Gustav III till Våra Dagar, Stockholm 1918.

Bernhard Meijer, Nordisk Familjebok. Konversationslexikon och Realencyklopedi, 38 Bde., Bd. 29, 2. Auflage, Stockholm 1919.

Nils Bohmann u. Torsten Dahl (Hrsg.), Svenska män och kvinnor: biografisk uppslagsbok, 8 Bde., Bd. 7, Stockholm 1954.

Walter Niemann, Meister des Klaviers. Die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, Berlin 1919.

Gustav Hillestroem, Kungl. Musikaliska Akademien. Matrikel 1771−1971, Stockholm 1971.

Carin Lewenhaupt [u. a.], Svenska kvinnor. Föregångare nyskapare, Lund 1990.

Margaret Myers, Blowing her own trumpet. European Ladies’ Orchestras & Other Women Musicians 1870−1950 in Sweden, Göteborg 1993.

Carl-Gunnar Åhlen, Art. „Hilda Aurora Thegerström“, in: Svenskt kvinnobiografiskt lexikon, 2020, https://www.skbl.se/en/article/HildaThegerstrom, Zugriff am 9. Febr. 2022.

 

Bildnachweis

Photographie, Ort u. Datum unbekannt, Wikimedia commons, https://en.wikipedia.org/wiki/Hilda_Thegerström#/media/File:HildaThegerström.jpg, Zugriff am 9. Febr. 2022.

 

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