Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Kerndl, Ella (Taufname: Aurelia Francisca Maria)

* Sept. 1863 in Unter-Sievering (heute Stadtteil von Wien), † 18. Apr. 1940 ebd., Pianistin, Geigerin, Organistin, Komponistin, Klavierlehrerin, Lehrerin für Harmonielehre und Kontrapunkt sowie Musikschriftstellerin. Ihre Eltern waren Franz Kerndl (1822–1902) und Theresia Anna Katharina Josepha geb. Stein von Nordenstein (1831–1912). Ella Kerndl erhielt Klavierunterricht bei Minna Winkler-Deutsch (1831–1908) und privaten Geigenunterricht bei Carl Hofmann (1835–1909), der am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde tätig war. Den Orgelunterricht absolvierte sie bei Carl Hausleithner (1843–1905), Komposition studierte sie bei Cyrill Wolf (1825–1914).

Ab dem neunten Lebensjahr konzertierte Ella Kerndl auf der Geige, dem Klavier und später auch auf der Orgel. Im Laufe ihres Lebens gab sie mehr als 200 Konzerte in Österreich, Deutschland und Frankreich. Einige Konzerte spielte sie gemeinsam mit dem Violinisten Carl Wehle (1825–1883). In ihren Programmen legte sie einen Schwerpunkt auf selten gehörte und zeitgenössische Werke. So organisierte sie 1892 einen „Nordischen Musikabend“ in Wien, bei dem sie „ihre Blicke mit besonderer Vorliebe nach dem skandinavischen Norden“ (FritzschMW 1893, S. 414) richtete. Ein Jahr später folgte ein „Internationaler Musikabend“ (ebd.), bei dem Werke von Edvard Grieg (Norwegen), Christian August Sinding (Norwegen), Hans Huber (Schweiz), Edward Mac Dowell (Nordamerika), Benjamin Godard (Frankreich) und Bedřich Smetana (Tschechien) aufgeführt wurden.

In ihren Konzerten präsentierte Ella Kerndl Werke von Frédéric Chopin, Franz Liszt, Ludvig Theodor Schytte, Edvard Grieg, Robert Schumann, Joachim Raff, Johannes Brahms, Christian August Sinding, Hans Huber, Richard Strauß, Edward Mac Dowell, Camillo Horn, Emil Seling, Franz Schubert, Carl Maria von Weber, Hermann Grädener, Bernhard Stavenhagen und Anton Bruckner. Viele ihrer Konzerte fanden in Wien im Bösendorfer- oder Ehrbar-Saal statt. Die Konzertkritiken waren meist positiv, so auch die eines Wohltätigkeitskonzerts 1884 in Wien: „Frl. Kerndl spielte auf mehrseitiges Verlangen die Rhapsodie Fis-dur von Liszt, wie wir sie noch nicht meisterhafter zu Gehör bekamen“ (Deutsche Musik-Zeitung 1884, S. 215). Ein Vortragsabend, der am 8. Apr. 1889 im Ehrbar-Saal stattfand und von Ella Kerndl veranstaltet wurde, wird in der „Österreichischen Musik- und Theaterzeitung“ sehr lobend erwähnt. Als „Glanzpunkt des Abends“ werden ihre Beiträge von Liszt und Schytte bezeichnet, in denen „die brillante perlende Technik und die echt künstlerische Auffassung der ausgezeichneten Pianistin vorzüglich zur Geltung kamen“ (15. Apr. 1889, S. 8).

Als Geigerin trat Ella Kerndl deutlich seltener in Erscheinung. Sie veranstaltete als zweite Geigerin mit einem neuen Streichquartett, das außerdem aus Mary Karpf (erste Geige), Anna von Baumgarten (Viola) und Josefine Donat (Violoncello) bestand, mehrere Konzerte mit kammermusikalischen Vorträgen. Zwischen 1890 und 1896 war sie in der Altlerchenfelder Pfarrkirche als Organistin zu hören.

Als Musikschriftstellerin veröffentlichte sie unter dem Pseudonym K. A. Artikel in Periodika wie der „Deutschen Zeitung“, der „Musikalischen Presse“, den „Redenden Künsten“ und „Musica a para Todos“ (Sao Paulo, Brasilien).

In Bezug auf die Lehrerin werden „die Qualitäten der auch als Pädagogin geschätzten Pianistin Ella Kerndl“ (Signale 1914, S. 908) hervorgehoben. In der „Österreichischen Musik- und Theaterzeitung“ wird sie auch als „ausgezeichnete Lehrmeisterin“ (15. Apr. 1889, S. 5) bezeichnet. „Fräulein Kerndl versteht es eben, sowohl durch die insgesammt sehr hübschen Leistungen ihrer zahlreichen Zöglinge, wie nicht minder durch eine auf’s Sorgfältigste gewählte Vortragsordnung ihre Schülerproductionen auf eine höhere Stufe zu heben und derart selbst dem verwöhnten Fachmanne Theilnahme abzuringen“ (Deutsches Volksblatt 5. Mai 1899, S. 4). Gemeinsam mit Ella Kerndl eröffnete die Klavierlehrerin Albertine Fornasari da Verce (1847 – 1932) im Jahr 1895 eine Klavierschule. Ella Kerndl übernahm den Klavier- und Theorieunterricht. Viele ihrer Schülerinnen und Schüler schlossen das Examen am Ende ihrer Ausbildung mit Auszeichnung ab. Ella Kerndl veranstaltete regelmäßig Schülerabende, bei denen ihre Schülerinnen und Schüler „bewiesen, daß Frl. Ella Kerndl das richtige Zeug in sich hat, selbst Erlerntes auf andere zu übertragen“ (Deutsche Musik-Zeitung 1897, S. 6).

Auch als Componistin hat Frl. Kerndl höchst erfreuliche Proben ihrer schönen Begabung abgelegt“ (Blatt der Hausfrau 1901/02, S. 1197). Ihre Kompositionen sind im Verlag Gustav Lewy (Wien), Carl Hofbauer (Wien) und Wild (Leipzig) erschienen.

 

WERKE

 

FÜR KLAVIER

Bagatelle (1878)

Lied ohne Worte (1878)

Albumblatt (1880)

Nocturne op. 2 (1882)

Variationen op. 20 (1882)

Larghetto op. 15

Caprice brillant op. 31

Scherzino

Mazurka (1890)

Andante

Fragment (1903)

 

FÜR ORGEL

Sehnsucht (1886)

Nun liegt die Welt umfangen (1887)

 

LITERATUR

Blatt der Hausfrau 1901/02, S. 1196f.

Deutsche Musik-Zeitung 1882, S. 183, 194; 1884, S. 215; 1887, S. 225; 1893, S. 303; 1895, S. 5; 1897, S. 62, 67; 1899, S. 129; 1890, S. 93; 1892, S. 90; 1893, S. 300; 1897, S. 6

Deutsches Volksblatt 1893, 19. Jan., 8. Dez.; 1895, 22. Okt.; 1899, 5. Mai

FritzschMW 1870, S. 342, 414, 417, 502; 1893, S. 414

Die Lyra 1890, 15. Apr., S. 121; 1892, 1. Apr., S. 116; 1893, 15. Jan., S. 3; 1901, 1. Apr., S. 158

Montags-Zeitung 18. Dez. 1893; 14. Jan. 1895

Neue Freie Presse [Wien] 12. Juli 1890; 5. Apr. 1896

Neues Wiener Tagblatt 20. Okt. 1893; 12. Okt. 1895

Österreichische Musik- und Theaterzeitung 1889, 15. Apr., S. 5, 8; 1892, Apr., S. 4; 1893, Nov., S. 6; 1895, 15. Okt., S. 10 (Beilage zu Nr. 2); 1896, 15. Dez., S. 6; 1905, Mai, S. 8

Reichspost [Wien] 19. Dez. 1899; 26. Sept. 1926

Salzburger Volksblatt 12. Dez. 1893

Signale 1914, S. 908

Wiener Zeitung 6. Okt. 1895

Hermann Clemens Kosel (Hrsg.), Deutsch-österreichisches Künstler- und Schriftstellerlexikon, Wien 1902–1905.

Ernst Mann, Heinz Voss, Hans Gerloff (Hrsg.), Deutschlands, Österreich-Ungarns und der Schweiz Musiker in Wort und Bild. Eine illustrierte Biographie der gesamten alldeutschen Musikwelt, Leipzig 1909.

Erich Hermann Müller, Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929.

Marx/Haas, OeML online (Art. Winkler-Deutsch, Minna)

 

Bildnachweis

Marx/Haas, S. 226

Blatt der Hausfrau 1901/02, S. 1197

 

Barbara Kollenbach

 

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