Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

SeemannSeemann von Treuenwart, Johanna von, verh. Merkl von Reinsee

* 16. Mai 1849 in Wien, † 1. Febr. 1944 ebd., Pianistin und Klavierlehrerin. Aus einer Familie von österreichischen Militärbeamten kommend, war Johanna von Seemann (wie sie in der zeitgenössischen Presse durchweg genannt wird) Tochter des Generalauditors Wenzel Franz Seemann von Treuenwart (1794–1885) und seiner Frau, Louise Edle von Frisch (1811–1891). Sie wurde durch die Familie von Theodor Billroth in das Wiener Musikleben eingeführt und studierte am Wiener Konservatorium Klavier bei Julius Epstein (1832–1926), einem Freund von Johannes Brahms. Auch mit Brahms selbst pflegte sie bald regelmäßigen Umgang, musizierte mit ihm (u. a. 1884 in Mürzzuschlag) und führte 1879 und 1884 dreimal sein Klavierquintett op. 34 auf („unter männlich kräftiger, geistig bedeutender Mitwirkung der rühmlichst bekannten Pianistin Frl. v. Seemann“, Pester Lloyd 1879, zit. nach Hosch-Merkl, S. [35]).

Die Künstlerin konzertierte zwischen 1875 und 1886 vorwiegend in Wien; außerdem sind Auftritte in Salzburg (1875), Graz (1876), Prag (1884) sowie in Leipzig (1878, mit dem Klaviertrio G-Dur von Joseph Haydn) nachgewiesen. Am 5. Jan. 1881 brachte sie in Wien erstmals das Klavierkonzert von Edvard Grieg zu Gehör. Daneben umfasste ihr Repertoire Klavierkonzerte von Mozart, Beethoven und Liszt (Fantasie über Motive aus Beethovens Ruinen von Athen, Searle 122) sowie Soloklaviermusik insbesondere von Schubert und Schumann. Regelmäßig widmete sie sich auch hochrangiger Kammermusik (mehrfach gemeinsam mit Josef Hellmesberger d. Ä.) und wirkte als Liedbegleiterin.

Weniger als Virtuosin denn als gebildete Musikerin geschätzt, erhielt Johanna von Seemann besonderen Zuspruch für die feinfühlige Stilistik ihrer Spielweise und wurde in der Presse gelobt als „eine in bester Schule gebildete Pianistin, deren maßvollem, natürlichem und sicherem Vortrag man mit wahrem Vergnügen folgte“ (Signale 1878, S. 451).

Spätestens seit 1878 unterrichtete die Künstlerin in Wien, offenbar bevorzugt Frauen. Das Programm eines öffentlichen Konzerts ihrer Schülerinnen vom 10. Mai 1878 offeriert ein weites Spektrum der Klaviermusik von Joh. Seb. Bach bis Anton Rubinstein, das in ausgewogener Mischung reine Unterrichtswerke und musikalisch Anspruchsvolles nebeneinander stellt.

Am 5. März 1887 heiratete Johanna von Seemann Adolf Freiherrn Merkl von Reinsee (1853–1929) und bekam eine Tochter (Maria, 1888–1977). Mit der Eheschließung beendete sie ihre Konzertlaufbahn, wirkte aber noch gut zwei Jahrzehnte als Lehrerin.

 

LITERATUR

Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung 1879, S. 44; 1880, S. 59

Deutsche Musikerzeitung 6. April 1878

Deutsche Zeitung [Wien] 8. Jan. 1881

Illustrirtes Wiener Extrablatt 12. Febr. 1875

Die Lyra 1883, 15. Jan., S. 4, 15. Febr., S. 3f.

Morgen-Post [Wien] 28. März 1878

NZfM  1876,  S. 136; 1878, S. 449; 1939, S. 672

Österreichische Kunst-Chronik 1883, S. 86

Salzburger Zeitung 19. Aug. 1875

Signale 1878 S. 451; 1879, S. 435, 1029; 1880, S. 53f.; 1881, S. 148f.; 1882, S. 501; 1883, S. 197, 281; 1884, S. 420, 547, 566; 1885, S. 226; 1886, S. 295

Das Vaterland [Wien] 7. Dez. 1886, S. 6

Wiener Presse 28. Jan. 1883

Wiener Zeitung 1879, 21. März, 12. Nov., 7., 31. Dez.; 1880, 3. März; 1883, 11. März; 1886, 17. Febr. (und weitere regionale Presse, aufgeführt in Hosch-Merkl 1975)

Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 12 (Lfg. 55, 2001).

Max Kalbeck, Johannes Brahms, 4 Bde., Bd. 3, 2. Halbbd., Berlin 1912, Berlin 2. Aufl. 1914.

Alfred von Ehrmann, Johannes Brahms. Weg, Werk und Welt, Leipzig 1933.

Maria Menczigar, Julius Epstein, Diss. Universität Wien 1957.

Billroth im Briefwechsel mit Brahms, hrsg. von A. Greyther, München u. Berlin 1964.

Felix Hosch-Merkl, Erinnerungen an die Pianistin Johanna Seemann und ihre Bekanntschaft wie ihr Musik-Zusammenwirken mit Johannes Brahms (im Innentitel: Erinnerungen an die Pianistin Johanna von Seemann und an ihre Lehrer Julius Epstein und Josef Hellmesberger), Wien 1975 (Privatdruck).

Genealogisches Handbuch des Adels, hrsg. von Walther von Hueck, 151 Bde., Bd. 79, Limburg a. d. Lahn 1982.

 

Bildnachweis

Felix Hosch-Merkl, S. [11].

 

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