Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Quidde, Margarethe, Grete, Margarete, geb. Jacobson, Jacobsen, Jacobsohn

* 11. Juni 1858 in Königsberg, † 25. Apr. 1940 in München, Violoncellistin, Pianistin, Violoncellolehrerin, Schriftstellerin, Journalistin und Übersetzerin. Sie war die Tochter des Augenarztes Julius Jacobson (1828–1889) und Hermine geb. Haller (1828–?), der aus Wien stammenden Großherzogl. Hofopernsängerin zu Weimar. Margarethe hatte drei Schwestern, Johanna, Friederike und Gertrud, sowie einen Bruder namens Julius. Sie heiratete im Jahr 1882 den Historiker und späteren Nobelpreisträger Ludwig Quidde (1858–1941). Die Ehe blieb kinderlos.

Margarethe Jacobsons musikalische Fähigkeiten wurden bereits im Kindesalter von ihren Eltern gefördert. Woldemar Bargiel (1828–1897) war in den Jahren 1874 bis 1879 ihr Klavier- und Kompositionslehrer. Von Robert Hausmann (1852–1909) erhielt sie Unterricht im Violoncellospiel. Schon während ihrer Studienzeit trat sie erstmals öffentlich auf und vertrat ihren Lehrer Robert Hausmann im Jahr 1877 in Potsdam bei einem Kammermusikabend.

Während des jährlichen Familienurlaubs in Italien wurde Margarethe Jacobson im Sommer 1880 von dem Violoncellisten Alfredo Piatti (1822–1901) unterrichtet. Vermittelt wurde der Unterricht durch ein Empfehlungsschreiben Joseph Joachims (1831–1907) aus dem Sommer 1876, in dem er schreibt, Margarethe Jacobson habe „un talent prononcé“ („ein ausgeprägtes Talent“). Doch erst vier Jahre später sagte Piatti zu. „Auf Piatti freue ich mich furchtbar. […] Wir haben den Winter hindurch ganz regelmäßig und fleißig weiter geübt und ich hoffe, ich bin nicht zurückgekommen, wenn ich auch vielleicht keine Fortschritte gemacht habe“ (Brief Margarethe Jacobsons vom 29. Mai 1880 an Joachim). Margarethe Jacobsons Familie erkannte die Relevanz ihrer Arbeit mit Piatti. So erklärt ihr Vater in einem seiner Reisebriefe: „Wir bleiben so lange am Orte, als die musikalischen Chancen für G.[rete] nicht aufhören günstig zu sein“ (Reisebriefe Julius Jacobson, Brief vom 15. Sept. 1880). Er beschreibt den Ablauf der ersten Zusammenkunft: „Gestern waren wir, Hanna, Grete und ich von halb 2 bis 6 Uhr in Cadenabbia [am Comer See]. Erst spielte P.[iatti] ein Duo für zwei Celli mit G., dann ließ er sie viel allein spielen, endlich legte er selbst los. […] Mit G. war er entschieden zufrieden, zeigte ihr Einiges und erklärte sich gern bereit, öfter mit ihr zu musiciren; wahrscheinlich kommt er heute Vormittag, um eine sogenannte Stunde zu geben“ (ebd.). Nach der Abreise aus Italien stellt Margarethe Jacobson fest: „Daß die lange Zeit, die wir mit ihm verlebt haben, sich für mein Spiel über alles Erwarten und Hoffen günstig gestaltet hat, und daß ich während der letzten drei Wochen ganz regelrechten, täglichen Unterricht bei ihm gehabt habe, wißen Sie wohl durch Julius [Margarethe Jacobsons Bruder]. Wie unendlich viel mir daran läge, diesen wohl einzig dastehenden Unterricht, wenn man es so nennen kann, fortzusetzen können Sie sich wohl denken, doch ist vorläufig von irgend welchen weiteren Plänen keine Rede“ (Brief Margarethe Jacobsons vom 4. Nov. 1880 an Joachim).

Aus dem Briefwechsel mit Joseph Joachim geht hervor, wie wichtig auch dessen Einfluss auf die spätere Laufbahn von Margarethe Jacobson war. Allerdings gab sie zu Beginn ihrer Ehe mit Ludwig Quidde im Jahr 1882 auf Wunsch ihres Ehemanns die Musik vorerst auf und begann nach der Hochzeit, als Schriftstellerin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig zu sein. Sie zog gemeinsam mit ihm nach Frankfurt a. M., kehrte 1886 aber zu ihrer Familie nach Königsberg zurück. Ihr Ehemann pendelte in dieser Zeit zwischen Königsberg und Frankfurt. Im Jahr 1890 gingen sie gemeinsam nach München, doch im selben Jahr erhielt Ludwig Quidde ein Angebot aus Rom und zog bereits im Herbst dorthin. Margarethe Quidde folgte ihm 1891.

 

Ludwig und Margarethe Quidde, 1888 in Venedig.

 

In Rom trennte sich Margarethe Quidde zeitweilig von ihrem Ehemann und reiste mit einem namentlich nicht bekannten Geliebten durch Italien, kehrte jedoch zu Ludwig Quidde zurück und folgte ihm im Jahr 1892 zurück nach Deutschland. Seitdem fokussierte sich Margarethe Quiddes Leben auf die Stadt München, während ihr Ehemann teilweise in Berlin lebte oder sich auf Reisen befand.

In dieser Zeit begann sie sich wieder der Musik zuzuwenden, arbeitete zudem als Musikschriftstellerin für die „Münchner Freie Presse“, die zwischen 1894 und 1900 von ihrem Ehemann herausgegeben wurde und führte einen kammermusikalischen Salon mit Gästen aus aller Welt.

Ab 1902 sind wiederöffentliche Auftritte von Margarethe Quidde nachweisbar, die überwiegend in München stattfanden, im Jahr 1906 und 1907 auch in Salzburg und Innsbruck. Im Mittelpunkt ihrer Auftritte standen Kammermusikkonzerte und die Mitwirkung in Konzerten anderer KünstlerInnen. Aus den Rezensionen geht hervor, mit wem sie auftrat: am 10. März 1902 mit dem Joachim-Quartett und dem Streichquintett von Schubert in C-Dur op. posth. 163 (Allgemeine Zeitung [München] 8. März 1902), mit demselben Programm am 9. April 1906 in Salzburg (Salzburger Volksblatt 6. April 1906), am 15. Sept. 1906 mit der Pianistin Gisela Goellerich und deren Tochter, der Violinistin Palma de Pasthory, im Münchner Kaim-Saal (Le Mercure Musical 15. Sept. 1906), 1912 und 1913 mit der Sängerin Sara Jane Cahier. In den Jahren von 1907 bis 1913 verstärkte sie das Soldat-Roeger-Quartett, das Hösl-Quartett, das Wietrowetz-Quartett und das Michaelis-Quartett.  In einer Kritik des „Salzburger Volksblattes“ vom 10. April 1906 wird einer ihrer seltenen Soloauftritte kommentiert: „Was uns an ihrem Cellospiel am meisten imponierte, das war neben der Größe und Schönheit des Tones, welchem sie ihrem Cello, einem herrlichen italienischen Instrument, entlockte, die vornehme Ruhe ihres Vortrages, der sich von allen Mätzchen frei hält, das von den meisten Cellisten oft bis zum Übermaß gepflegte Tremolieren strenge vermeidet und in der breiten und klangschönen Tongebung seine Stärke sucht und findet. Die Wiedergabe des Adagios von Bargiel, des Präludiums von Klengel, des „Lied ohne Worte“ von Mendelssohn und endlich des mit bewundernswerter Zartheit gespielten Abendliedes von Schumann waren köstliche Gaben“. In den „Münchner Neuesten Nachrichten“ werden ihre wenigen öffentlichen Auftritte als Pianistin rezensiert: am 24. Nov. 1915 mit dem Hösl-Quartett und dem Klavierquintett Es-Dur op. 44 von Robert Schumann und im Dezember 1926 als Liedbegleiterin der Sängerin Rose Ruf.

Den Rezensionen ist zu entnehmen, dass die Musikerin außerdem das Klaviertrio H-Dur op. 8 von Brahms, das Klaviertrio a-Moll op. 50 von Tschaikowsky und die Chaconne aus der Partita d-Moll von Joh. Seb. Bach im Repertoire hatte.

1913/1914 wurde bekannt gegeben, dass der „Münchner Mozart-Gemeinde […] jetzt Margarete Quidde vorsteht“ (Die Musik, 1913/14 I, S. 318). Margarethe Quidde war außerdem als Musiklehrerin tätig. Einer ihrer Schüler war der Maler und Graphiker Richard Hallgarten (1905–1932). In den 1920er Jahren wurde sie von ihrem Ehemann gebeten, weitere SchülerInnen anzunehmen, denn das Ehepaar befand sich aufgrund der Inflation in einer finanziellen Notlage.

Neben der Musik nahm in Margarethe Quiddes Leben politisches Engagement einen wichtigen Platz ein. So wirkte das Ehepaar gemeinsam auf dem Gebiet des Tierschutzes und in der Friedensbewegung. Ihre zeitlebens schwierige Ehe bestand offiziell bis zu ihrem Tod. 1933 emigrierte Ludwig Quidde gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Charlotte Kleinschmidt und der gemeinsamen Tochter in die Schweiz, um einer Verhaftung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Margarethe Quidde blieb in München zurück und berichtete, dass sich die BesucherInnen ihrer musikalischen Soireen „seither seltener einstellten, ja, dass der eine oder andere frühere Gast nun ganz fernblieb“ (zitiert nach Holl 2007, S. 577), vermutlich eine Andeutung der Auswirkungen ihres Status‘ als sog. Halbjüdin.

Am 25. Apr. 1940 verstarb Margarethe Quidde im Alter von 81 Jahren in München an Herzschwäche.

 

Photographie von Heinrich Traut um 1910.

 

LITERATUR

[Margarethe Quidde,] Briefe an Joseph Joachim, aus dem Teilnachlass von Ludwig Quidde, Staatliches Institut für Musikforschung Berlin, SM 12/1957-3677

Allgemeine Zeitung [München] 1902, 8. März; 1913, 22. Febr.

Innsbrucker Nachrichten 1907, 4., 9. März

Die Musik 1907/08 II, S. 122; 1912/13 III, S. 381; 1913/14 I, S. 318; 1913/14 II, S. 381

Le Mercure Musical 1906, S. 235

Münchner Neueste Nachrichten 1902, 11. März; 1907, 4. Nov.; 1913, 13. April; 1915, 26. Nov.; 1926, 19. Dez.

Salzburger Volksblatt 1906, 6., 10. April

Kutsch/Riemens

Erich H. Müller (Hrsg.), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929.

Walther Killy u. Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, 12 Bde., Bd. 8, München 1998 (Art. Quidde, Margarethe, Quidde, Ludwig, Jacobson, Julius).

Julius Jacobson, Reisebriefe aus Italien und der Schweiz, Königsberg 1893.

Johannes Joachim u. Andreas Moser (Hrsg.), Briefe von und an Joseph Joachim, 3 Bde., Bd. 3: Die Jahre 1869–1907, Berlin 1913.

Wilhelm Joseph von Wasielewski, Das Violoncell und seine Geschichte, Leipzig ³1925.

Salomon Wininger, Große Jüdische National-Biographie, Bd. 5, Cernăuţi [1930], S. 66f.

Utz-Friedebert Taube, Ludwig Quidde. Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Gedankens in Deutschland (= Münchener Historische Studien, Abteilung Neuere Geschichte 5), Kallmünz 1963.

Hilmar Schmuck, Jüdischer Biographischer Index, 4 Bde., Bd. 3 u. 4, München 1998.

Karl Holl, Ludwig Quidde (1858–1941). Eine Biographie, Düsseldorf 2007.

Karl Holl, „Ludwig Quidde (1858−1941) − Fragmente einer brüchigen Biographie", in: Friedensnobelpreis und historische Grundlagenforschung. Ludwig Quidde und die Erschließung der kurialen Registerüberlieferung, hrsg. von Michael Matheus, Berlin u. Boston 2012, S. 15−54.

Katharina Deserno, Cellistinnen. Transformationen von Weiblichkeit in der Instrumentalkunst, (= Musik – Kultur – Gender 14), Köln [u. a.] 2018.

Yuki Melchert, Gabriele Wietrowetz – ein „weiblicher Joachim“? Ein Beitrag zur Künstlerinnensozialgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 101), Hildesheim [u. a.] 2018.

Siegrid Nieberle, „Geschliffene Biographeme. Paarkonstellationen im autobiographischen Musikerinnennachlass am Beispiel von Margarethe Quidde und Aline Valangin“, in: Paare in Kunst und Wissenschaft, hrsg. von Christine Fornoff-Petrowski u. Melanie Unseld (= Musik – Kultur – Gender 18), Köln [u. a.] 2021, S. 221–233.

Silke Wenzel, „Margarete Quidde“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000654?XSL.back=Q, Zugriff am 15. März 2023.

 

Bildnachweis

Matheus, S. 44.

Wikimedia, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/7/78/Ludwig_und_Margarethe_Quidde.jpg/220px-Ludwig_und_Margarethe_Quidde.jpg, Zugriff am 10. Jan. 2014.

Photographie von Traut, http://stadtmuseum.bayerische-landesbibliothek-online.de/pnd/116357479, Zugriff am 10. Jan. 2014.

 

Katja Franz/Christiane Barlag

 

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