Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Pain, Thérèse-Rosalie, geb. Sézille de Montarlet

* 12. Sept. 1773 in Noyon, † 15. Febr. 1859 in Compiègne, Violoncellistin. Ihr Vater war als Staatsanwalt in Diensten der örtlichen Vogtei und übersiedelte nach der Revolution mit seiner Familie nach Paris. Hier wurde Thérèse-Rosalie Sézille de Montarlet von Charles-Nicolas Baudiot (1773–1849) ausgebildet, der von 1795 bis 1802 und von 1805 bis 1827 am Pariser Konservatorium Violoncello unterrichtete. Das Lexikon von Choron/Fayolle teilt mit, ein weiterer Lehrer sei Nicolas-Joseph Platel (1777–1835) gewesen, ebenfalls ein renommierter Violoncellist, der später (ab 1824) am Konservatorium in Brüssel lehrte.

Am 27. Juli 1795 heiratete die Musikerin den Vaudeville-Librettisten Marie-Joseph Pain (1773–1830) und trat fortan unter dem Namen „Mad. Pain“ oder „Mad. Joseph Pain“ auf. Unter diesem Namen widmete ihr das Lexikon von Choron/Fayolle einen eigenen Artikel: „Pain (Madame), amateur à Paris, est une virtuose distinguée sur le violoncelle, instrument encore plus extraordinaire sous la main d’une femme que le violon“ („Mme. Pain, Liebhaberin zu Paris, ist eine hervorragende Virtuosin auf dem Violoncell, einem Instrument, das in den Händen einer Frau noch außergewöhnlicher ist als die Violine“, Chor/Fay, Art. Pain). Da sie als „amateur“ bezeichnet wird, ist anzunehmen, dass es sich bei ihrer Ausbildung um private Unterrichtsverhältnisse gehandelt hatte und dass sie ihre Auftritte auf private, halböffentliche Konzerte sowie Wohltätigkeitsveranstaltungen beschränkte. Der Artikel über ihren Lehrer Platel teilt immerhin mit, er habe Violoncello-Konzerte veröffentlicht, „qui sont très-estimés. Madame Pain, son èlève, les joue avec beaucoup d’habileté“ („die sehr geschätzt sind. Mme. Pain, seine Schülerin, spielt sie mit großer Gewandtheit“, ebd., Art. Platel).

Um 1800 bildete Thérèse-Rosalie Pain zusammen mit den Geigerinnen Agathe-Victoire LadurnerClarisse Larcher und der Bratschistin Felicita Blangini ein Frauen-Streichquartett, das sich möglicherweise in den „Mittwochskonzerten“ im Hause des Ehepaares Ladurner hören ließ. Jahrzehnte später erinnert sich Pierre-Auguste-Louis Blondeau dieses ungewöhnlichen Ensembles: „Ces quatre dames formaient […] un excellent quatuor, et l’exécutaient avec toute la précision, l’énergie, l’ensemble, les nuances qu’exige ce genre si difficile. On se fera sans doute une idée de l’impression que devait causer cet assemblage de quatre femmes répandant à flots autour d’elles le plaisir, et disputant par les talents l’empire de l’attention au plaisir des yeux et à celui des oreilles“ („Diese vier Damen bildeten […] ein exzellentes Quartett und musizierten mit der ganzen Präzision, der Energie, dem Zusammenspiel und den Feinheiten, die diese so schwierige Gattung verlangt. Man kann sich gewiss ein Bild machen von dem lebhaften Vergnügen, das dieses Ensemble von vier Frauen auslöste, wenn man sich vorstellt, wie die Darstellung ihrer Fähigkeiten mit dem Augenschmaus und dem Hörerlebnis wetteiferten“, Blondeau Bd. 2, S. 290f.).

Am 24. Dez. 1800 wirkte die Violoncellistin in einem Wohltätigkeitskonzert im Pariser Hôtel de Longueville mit, als in der benachbarten Oper ein Attentat auf Napoleon verübt wurde, wobei die Detonation auch die umliegenden Gebäude in Mitleidenschaft zog. In den Memoiren von Alissan de Chazel wird die Wirkung im Konzertsaal beschrieben: „Au moment de l’explosion, une dame, très forte sur la basse, jouait un concerto; elle eut son instrument brisé en mille morceaux“ („Im Augenblick der Explosion spielte eine Dame, eine sehr fähige Bassistin, ein Konzert; ihr Instrument zerbarst in tausend Stücke“, zit. nach Sorel, S. 56). In einer anderen Quelle heißt es, ein Mauerstein habe die Musikerin am Kopf getroffen (FM 1859, S. 83). Thérèse-Rosalie Pain war zu diesem Zeitpunkt schwanger und brachte am 11. Aug. 1801 einen behinderten Sohn Jules zur Welt, den sie später selbst im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtete und zu einem ordentlichen und sicheren Klavierspieler („d’une exécution exacte et sȗre“, Sorel, S. 63) ausbildete.

Am 10. März 1814 wurde die Scheidung von Marie-Joseph Pain ausgesprochen; die Musikerin zog mit ihrem Sohn anschließend nach Compiègne, wo ihr Vater bereits wieder wohnte. Dort widmete sie sich, zusammen mit ortsansässigen Musikern, im privaten Rahmen „à l’exécution des chefs-d’œuvre des grands maîtres, tels que Mozart, Beethoven, Haydn, etc.“ („dem Spiel der Meisterwerke der großen Komponisten, wie Mozart, Beethoven, Haydn usw.“, Sorel, S. 63). Zum Fest der Heiligen Cäcilia (22. Nov.) veranstaltete sie mit KünstlerInnen aus Paris regelmäßig Hauskonzerte.

1836 wurde sie in Compiègne von dem Lithographen Hyacinthe Aubry-Lecomte in zwei Porträts dargestellt, in einem Fall sogar „jouant du violoncelle“ („Violoncello spielend“, Hervilliers, S. 470). Die Abbildung zeigt indes, dass der Künstler die ungewöhnliche Instrumentenwahl und eigentlich ‚anstößige‘ Spielhaltung durch eine ‚dezente‘, sicher unrealistische Präsentation von Körper und Instrument gemildert hat. Die exzentrische Kleidung der Musikerin beschreibt auch der Verfasser einer kurzen Biographie aus dem Jahre 1895, „ce costume quelque peu théâtral dont elle aimait à se revêtir; cette coiffure étrange, en manière de turban, qui couvrait sa tête“ („dieses etwas theatralische Gewand, das sie gerne trug; dieser seltsame turbanartige Kopfputz, der ihr Haupt bedeckte“, Sorel, S. 65).

Nach ihrem Tod formulierte Marie Escudier in der „France Musicale“ einen Nekrolog. Er nennt dort Thérèse-Rosalie Pain eine „excellente musicienne“, die sich bis zuletzt der Kammermusik gewidmet habe, „où elle faisait admirablement sa partie, avec l’instrument qui avait illustré et consolé sa vie“ („wo sie ihren Part bewundernswert versah, mit dem Instrument, das ihr Leben geprägt und erleichtert hatte“, FM 1859, S. 83).

 

Hyacinthe Aubry-Lecomte:
Thérèse-Rosalie Pain im Alter von 63 Jahren.

 

LITERATUR

FM 1859, S. 83f.

Chor/Fay

Explication des ouvrages de peinture, sculpture, architecture, gravure et lithographie des artistes vivans, exposés au Musée Royal le 1er mars 1837, Paris 1837.

Pierre-Auguste-Louis Blondeau, Histoire de la musique moderne, depuis le premier siècle de l’ère chrétienne jusqu’à nos jours, 2 Bde., Paris 1847.

Joseph Fr. u. Louis Gabriel Michaud, Biographie universelle, ancienne et moderne, 85 Bde., Paris 1811–1862, Bd. 69, Paris 1841 (Art. Ladurner, Antoine).

Edmond Caillette de L’Hervilliers, Compiègne, sa forêt, ses alentours, études & souvenirs historiques et archéologiques, Compiègne 1869.

Alexandre Sorel, „Madame Pain (Thérèse-Rosalie Sézille de Montarlet), in: Bulletin de la Société historique de Compiègne, Compiègne 1895, S. 48–68.

Joël-Marie Fauquet, Les sociétés de musique de chambre à Paris de la restauration à 1870, Paris 1986.

 

Bildnachweis

Sorel, Madame Pain, S. 48

 

Freia Hoffmann

 

© 2011 Freia Hoffmann