Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

MauthnerMautner, Amalie, Amalia, verh. Rawack, Rawack-Mauthner, verh. Epstein

* um 1832 in Pest (heute Budapest), † 15. Dez. 1915 in Wien, Pianistin und Klavierlehrerin. Amalie Mauthner war die Tochter von Zacharias Mauthner und dessen Ehefrau Theresia geb. Veith. Ausgebildet wurde sie in Wien von dem Klavierlehrer und Komponisten Anton Halm (1789–1872).

Erste öffentliche Auftritte erfolgten, als sie etwa zwölf Jahre alt war. Im Anschluss an eines der ersten Konzerte meint ein Korrespondent der Wiener „Sonntagsblätter“ schon erkennen zu können, dass „Halm in Amalie Mauthner eine Pianistin bessrer Art heran[bildet](Sonntagsblätter 1844, S. 68). Gleichzeitig wird Kritik am Kindervirtuosentum laut. In den „Sonntagsblättern“ ist nach einem Auftritt der jungen Musikerin in einem Konzert von Giulio Briccialdi Anfang 1844 zu lesen: „Ein wohlgeregeltes Konzert kann heutzutage kaum ohne Kinder mehr bestehen, und so hörte man diesmal ein elfjähriges Mädchen, Dlle. Amalie Mauthner, die Thalberg’sche Norma-Fantasie am Klavier – spielen – ? Nein, eine solche Herkules-Arbeit ist für Kinderhände kein Spiel, und es anzuhören kein Vergnügen, und je mehr ich das Talent der kleinen angehenden Pianistin anerkenne, die gewiß mit einem ihren Kräften angemessenen Musikstücke eine bedeutende und relativ-künstlerische Wirkung hätte erwerben können, um so mehr muß ich den Mißgriff rügen und bedauern, das arme Kind einer eben so unnützen, als unkünstlerischen Selbst- und Andere-Quälerei unterworfen zu haben“ (Sonntagsblätter 1844, S. 108). Im Nov. 1844 folgte ein vielbeachtetes Konzert der jungen Musikerin im Musikvereinssaal, in dessen Rahmen sie den ersten Satz aus Hummels Klavierkonzert Nr. 2 a-Moll op. 67 sowie Etüden von Halm, Thalberg und Chopin vortrug. Auftritte in Konzerten von Alfred Jaëll und Baron Klesheim schlossen sich an. Nur ein Jahr nach ihrem Debüt trat die junge Künstlerin auch außerhalb Wiens auf. Nachgewiesen sind Konzerte in Pest (1845), Wieselburg (1845), Karlsbad (1846), Prag (1846) und Preßburg (1847). Ihre Programme enthielten insbesondere Kompositionen von Hummel, Chopin, Thalberg, Döhler, Halm, Weber, Liszt, Leopold von Meyer und Émile Prudent.

1853 befand sich Amalie Mauthner in Wien und lernte dort den gutsituierten Kaufmann Leopold Rawack (1819–1873) kennen, den sie 1854 heiratete. Über diese Verbindung schreibt der österreichische Forschungsreisende Karl Scherzer: „All the world congratulated the charming, high educated, but impecunious Fraulein [sic] Mauthner when they heard that she was going to marry a rich merchant from the goldmining district of Australia (Journal of Dr. Karl Scherzer). Noch 1854 siedelte das Ehepaar nach Australien über und lebte in den nächsten Jahren in Sydney. 1856 wurde die Tochter Leonie Julia Harriet geboren, die jedoch im Alter von nur einem Jahr und neun Monaten starb. Nach der Heirat zunächst nicht mehr aufgetreten, veranstaltete Amalie Rawack-Mauthner nach dem Tod der Tochter in Sydney zahlreiche Konzerte. Anlass hierfür war wohl auch der Bankrott des Unternehmens ihres Ehemanns, der nicht mehr für den Lebensunterhalt aufkommen konnte: „Statt im Goldlande ein sorgenfreies, glückliches Familienleben zu führen, war die schwergeprüfte junge Frau genöthigt, sich einer aufreibenden, kummervollen Thätigkeit hinzugeben und ihre große musikalische Begabung praktisch zu verwerthen. Die anmuthige Künstlerin wurde auch auf australischem Boden rasch bekannt und beliebt. Die Concerte, welche die Künstlerin veranstaltete, gehörten zu den besuchtesten der Saison“ (Scherzer, S. 65f.).

Familiäre Verbindungen erleichterten es Amalie Rawack-Mauthner offenbar, sich in Sydney als Pianistin zu etablieren. So trat sie für die Zeit ihres Aufenthalts der Philharmonischen Gesellschaft bei, dessen Vorstand Ludwig Rawack angehörte, und wirkte hier als Solistin. Nur kurze Zeit nach der Ankunft erfolgte der erste Auftritt der Künstlerin im Rahmen eines von der Philharmonischen Gesellschaft veranstalteten Konzerts zu Ehren der Offiziere und Wissenschaftler der kaiserlichen Fregatte „Novara“, die im Rahmen einer Weltumsegelung auch in Sydney angelegt hatte und mit der das Ehepaar nach Australien gelangt war. Amalie Rawack-Mauthner spielte Theodor Döhlers Fantasie und Variationen über eine Cavatine aus der Oper Anna Bolena von Gaetano Donizetti op. 17. Ferdinand von Hochstetter, ein Mitreisender, übersetzte eine hierauf erschienene Rezension aus einer australischen Zeitung: „Die harmoniereiche Introduction, das gefällige Thema, die kunstreiche, elegante Phantasie, Alles wurde mit gleicher Meisterschaft, mit unübertrefflicher Virtuosität gespielt. Kaum vermag das Ohr im harmonischen Chaos der mächtigen Accorde, lieblichen Melodien, perlenden Läufe, schmetternden Triller und kühnen Sprünge einen Ruhepunkt zu finden; und dennoch finden wir in der wunderbar klaren Durchsichtigkeit, welche das Spiel unserer Künstlerin charakterisiert, die vollständigste Beruhigung und Befriedigung. Der letzte Accord war verklungen und ein endloser Beifall der umso lebhafter sich kundgab, da man athemlos gelauscht hatte, belohnte die gefeierte Künstlerin“ (zit. nach Hochstetter, S. 320f.). Aufmerksamkeit erlangte die Pianistin bei diesem Auftritt außerdem durch den Vortrag des von ihr für diesen Anlass komponierten Walzers Novara-Klänge – das einzige erhaltene Werk Amalie Rawack-Mauthners.

Bis 1859/1860 erfolgten zahlreiche weitere Konzerte in Sydney. Auffallend oft spielte die Künstlerin in dem Prince of Wales Theatre sowie der School of Arts. Wiederholt enthielten die Programme Werke von Liszt, Thalberg, Beethoven, Mendelssohn und Döhler. Wie ein Korrespondent des „Sydney Morning Herald“ vermerkt, waren es vor allem Werke der beiden erstgenannten Komponisten, die das Publikum positiv stimmten: „Never before in this colony have wonderful productions of Liszt and Thalberg been performed with so much taste, correctness and brilliancy on the pianoforte“ (The Sydney Morning Herald 7. Juli 1858).

Karl Scherzer berichtet, dass Amalie Rawack-Mauthner schon bei der Ankunft in Australien beabsichtigte, sobald es die finanziellen Umstände erlaubten, nach Wien zurückzukehren. Abgesehen von den Konzertauftritten – die allein nicht ausreichend Einnahmen erbrachten, um neben dem Lebensunterhalt eine Rückreise zu finanzieren – tat sich eine weitere Erwerbsquelle durch das Unterrichten auf: „Die angesehensten und reichsten Familien Sydney’s betrachteten es als eine besondere Gunst und wogen sie mit Gold auf, ihre Kinder von Frau R…. zu gewandten Clavierspielern heranbilden zu lassen“ (Scherzer, S. 65f.).

Im Febr. 1861 kehrte Amalie Rawack-Mauthner ohne ihren Ehemann nach Wien zurück und ließ sich scheiden. In der Donaumetropole traf sie auf den Pianisten Julius Epstein (1832–1918). Im Apr. 1862 konzertierte die Künstlerin in einer seiner sonntäglichen Matinéen und spielte zusammen mit dem Gastgeber Mozarts Sonate in D-Dur KV 448. Weitere gemeinsame Auftritte folgten. Am 18. Juni 1865 heiratete das Künstlerpaar. Am 24. Mai 1867 wurde die Tochter Hedwig († 1874), am 26. Jan. 1869 der Sohn Richard († 1919) geboren, der später ebenfalls als Pianist Bekanntheit erlangte. Die Tochter Gabriele Epstein wurde schon vor der Eheschließung, 1863, geboren und starb 1868. Nach 1862 sind nur wenige Hinweise auf die Konzerttätigkeit von Amalie Epstein vorhanden. Dass sie dennoch regelmäßig aufgetreten ist, zeigt ein Beitrag aus der Zeitschrift „Die Tonhalle“ aus dem Jahr 1870, in dem die Pianistin als „eine glänzende Concerterscheinung“ beschrieben wird, „ohne die eine Wiener Concertsaison nicht vollständig wäre“ (Die Tonhalle 1870, S. 293).

 

WERKE FÜR KLAVIER

Novara-Klänge, Walzer, Triest 1861.

 

LITERATUR

American Hebrew and Jewish messenger 1926, S. 565

AmZ 1864, Sp. 766

AWM 1844, S. 52, 552, 557f.; 1845, S. 23, 55, 148, 172, 228, 527f., 596, 611; 1846, S. 84, 543, 556; 1847, S. 556

Badener Zeitung 18. Dez. 1915

Bell’s Life in Sydney and Sporting Reviewer 1858, 3. Juli; 1859, 7. Juli

Blätter für Musik, Theater und Kunst 1862, S. 116, 419; 1869, S. 183

Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien 1876, 20. Mai; 1877, 1. Aug.; 1882, 30. Juli; 1883, 29. Juli; 1885, 21. Juli

Deutsche Musik-Zeitung 1862, S. 127

Empire 1858, 19. Febr., 2., 3., 7., 12., 14., 18. Apr., 17. Mai, 29. Juni, 3., 5., 6., 10. Juli

Fremden-Blatt [Wien] 1862, 12., 15. Apr., 27., 29. Dez.; 1864, 2. März; 1865, 20. Juni; 1870, 16. März, 23. Apr.; 1871, 12. Febr.; 1915, 24. Dez.

Gmunder Kurliste 14. Sept. 1895

Grey River Argus 1870, 21. Juni

Der Humorist 1844, S. 103, 1108, 1167; 1845, S. 312, 367, 436, 1054, 1179; 1846, S. 591; 1848, S. 154

Illustrated Sydney News 1891, 20. Juni

Klagenfurter Zeitung 20. Juli 1884

The Lute 1886, 1. Juni

Morgenblatt für gebildete Leser 1845, S. 1228

Musikpädagogische Blätter 1898, S. 221

Neue Freie Presse [Wien] 1915, 16., 24. Dez.

Neues Fremden-Blatt [Wien] 17. Febr. 1871

NZfM 1844, S. 135

Österreichisches Morgenblatt [Wien] 1844, 31. Jan., 20. Nov.; 1845, 18. Jan.

Österreichisch-ungarische Revue 1864, S. 155

Die Presse [Wien] 10. Dez. 1848

Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt [Wien] 1844, S. 750; 1845, S. 235, 291

Signale 1844, S. 396; 1864, S. 793

Sonntagsblätter 1844, S. 68, 108; 1848, S. 87

The Sydney Morning Herald 1858, 19. Febr., 7., 10., 14., 17., 19., 27. Apr., 11., 12., 13., 14., 15., 17. Mai, 30. Juni, 2., 3., 5., 6., 7. Juli, 29. Nov., 1., 4., 6., 8., 14. Dez.; 1859, 28. Apr., 4., 6., 7., 9. Mai, 9. Aug., 17., 24., 27., 29., 30. Dez.; 1867, 18. Jan.; 1887, 25. März

Die Tonhalle. Organ für Musikfreunde 1870, S. 293

Der Wanderer [Wien] 1845, 14. Jan., 5. Febr.; 1846, 17. Febr.; 1848, 2., 15. Febr.

Wiener Zeitschrift 1846, S. 982

Wiener Zeitung 1844, 30. Nov.; 1845, 10. Nov.; 1862, 31. Dez.

Mendel, Riemann 10, OeML online

Miska Hauser, Aus dem Wanderbuche eines österreichischen Virtuosen. Briefe aus Californien, Südamerika und Australien, hrsg. von Sigmund Hauser, 2 Bde., Bd. 2, Leipzig 2. Aufl. 1860.

Karl von Scherzer, Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde, in den Jahren 1857, 1858 und 1859 unter den Befehlen des Commodore B. von Wüllerstorf-Urbair, 3 Bde., Bd. 3, Wien 1864.

Anton C. Loew, Kurzgefasste aber vollständige Chronik der weltberühmten Cur- und Badestadt Karlsbad seit deren Entstehung bis auf unsre Tage, Karlsbad 1874.

Ferdinand von Hochstetter, Gesammelte Reise-Berichte von der Erdumsegelung der Fregatte „Novara“1857–1859, Wien 1885.

Johann Strauss, Der Walzerkönig und seine Dynastie. Familiengeschichte, Urkunden, hrsg. von Hanns Jäger-Sunstenau (= Wiener Schriften 22), Wien [u. a.] 1965.

„Eduard Hanslick. Aufsätze und Rezensionen, 1862–1863“, in: Sämtliche Schriften, hrsg. von Dietmar Strauß, 6 Bde., Bd. 1, Wien [u. a.] 2008.

Journal of Dr. Karl Scherzer, 1858, Transcribed by Dymphna Clark, http://www.uow.edu.au/~morgan/novara2.htm, Zugriff am 3. Juni 2011.

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