Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Ballio, Anna, Anita 

* 1879 in Mailand, † 11. Nov. 1962 in Heidelberg, Violoncellistin und Musiklehrerin. Sie siedelte als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland über. Ihr Vater Filippo Ballio ließ sich um 1892 in Heidelberg als Sprachlehrer nieder, ihre Mutter war möglicherweise die bei Pazdírek aufgeführte Komponistin Hilda Ballio. Anna Ballio studierte am Konservatorium in Köln von 1894 bis zum Schuljahr 1898/99 bei Friedrich Grützmacher d. J. (1866–1919) und nahm dann ihren Wohnsitz in Heidelberg. DieNeue Musik-Zeitung" widmete ihr im Jahr 1900 einen Artikel, in dem, wie in dieser Zeit häufig, auf die außergewöhnliche Instrumentenwahl verwiesen wird: „Noch immer ist die Zahl der Damen, welche sich dem Violoncellspiel widmen, äußert gering der Schar von Geigerinnen gegenüber. Der Umstand, daß namentlich die Bogentechnik des etwas ungefügen Instruments große männliche Kraft erfordert, und ein wenig auch wohl die liebe Eitelkeit mag schuld daran sein. Anna Ballio hat weder in der einen, noch in der anderen Hinsicht etwas zu fürchten, ihr Strich ist so kraftvoll, ihr Ton so rund und voll, und sie sieht, obschon von ungemein zierlicher Figur, wenn sie ihr Violoncell meistert, so anmutig und graziös aus, wie wenn es gar nicht anders sein könnte. […] Mit ihren beiden, gleichfalls sehr begabten Schwestern, bildete sie ein Trio, das schon vor mehreren Jahren manche erfolgreiche Konzertreise unternehmen konnte“ (Neue Musik-Zeitung 1900, S. 139). Sonstige Presse-Reaktionen sind noch verhalten: „Die Cellistin Anna Ballio ist noch Anfängerin, kann aber dennoch auf gute Zukunft rechnen, wenn sie ihr rechtes Handgelenk richtiger gebrauchen lernt, um logischere Tonverbindungen zu erreichen. Die Technik ist solide, der Ton modulationsfähig,  Verständnis noch unentwickelt, Begabung zweifellos vorhanden. Man spürt aber immer den Lehrer. Sie weiss die Bogenstriche dem Melodiefaden nicht anzupassen“ (Die Musik 1905/06 II, S. 127). „Im Saal Bechstein liess sich [… am 27. März 1906] die jugendliche Violoncellistin Anna Ballio aus Heidelberg vernehmen. Unter Assistenz der Pianistin Martha Küntzel brachte sie u. a. eine Anzahl älterer Werke von Bach (Gdur-Sonate No. 1, Ddur-Sarabande), Locatelli (Lento aus der Ddur-Sonate) und Corelli zu Gehör. Frl. Ballio hat noch an ihrer Ausbildung zu arbeiten; ihr technisches Vermögen ist ansehnlich entwickelt, bis zur absoluten Sicherheit aber noch nicht gediehen. Der Tongebung fehlt Schönheit und Sauberkeit, dem Vortrag Temperament“ (FritzschMW 1906, S. 321).  Einige Jahre später scheinen diese Schwächen Edmund v. d. Straeten zufolge jedoch behoben: „She combines a remarkably fine and powerful tone with an easy and elegant technique of the left hand, and combines the reputation of a brilliant soloist with that of an excellent chamber music player (v. d. Straeten, S. 501)In der Wintersaison 1906/07 trat Anna Ballio in Speyer mit einem „Privatorchester“ als Solistin auf, in der Saison 1911/12 ist die Beteiligung an einem Kammermusikabend der Harmonie-Gesellschaft in Heidelberg belegt. Am 17. Okt. 1924 veranstaltete sie in der Heidelberger Stadthalle mit der Pianistin Stephanie Pellissier einen Sonatenabend. 

Zusammen mit ihrer Schwester (Emilia) Candida († 13. Juni 1852) erteilte die Violoncellistin  in Heidelberg über viele Jahrzehnte in der Heugasse 2 Musikunterricht. 1930 wurde „Anita Ballio“ ein Patent erteilt für einen „Frosch für Cellobogen, gekennzeichnet durch eine für den Eingriff von vier Fingerspitzen ausreichende Einbuchtung […] in der Bogenlängsrichtung“ (Zeitschrift für Instrumentenbau 1931, S. 182).

LITERATUR

Adressbücher der Stadt Heidelberg

FritzschMW 1906, S. 321

Die Musik 1904/05 IV, S. 498; 1905/06 I, S. 441; 1905/06 II, S. 127, 478; 1906/07 IV, S. 315; 1907/08 III, S. 59; 1911/12 I, S.123

Neue Musik-Zeitung 1900, S. 139

Zeitschrift für Instrumentenbau 1931, S. 56, 182

Pazdírek, Cohen, Hixon (jeweils Ballio, Hilda)

Universitätsbibliothek Heidelberg, Sign. A 2737 FOL (Programmblatt 1924)

Edmund S.[ebastian] J.[oseph] van der Straeten, History of the Violoncello, the Viol da Gamba, their Precursors and Collateral Instruments, 2 Bde., London 1915, Repr. in einem Bd. London 2008.

Karl Hampe, Kriegstagebuch 1914–1919, hrsg. von Folker Reichert u. Eike Wolgast, München 2004.

 

Bildnachweis

Neue Musik-Zeitung 1900, S. 139

 

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