Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Mongin, Marie-Louise

* 11. Juni 1841 in Besançon, † 1931 (Ort unbekannt), Pianistin und Komponistin. Über ihren Vater ist nur bekannt, dass er Rechtsanwalt war. Als sie vier Jahre alt war, erhielt sie Klavierunterricht von ihrer Mutter und danach von Roncaglio, dem Organisten der Kirche St.-Pierre. Da sie schnell Fortschritte machte, zog die Familie nach Paris, um die elfjährige Marie-Louise dort bei besseren Lehrern ausbilden lassen zu können. 1853 wurde sie in die Klavierklasse von Louise Farrenc am Pariser Konservatorium aufgenommen. 1859 schloss sie ihr Studium mit einem ersten Preis im Klavierspiel ab, und 1861 – nach einigen Jahren des Studiums in der Klasse von Paul-Emile Bienaimé (1802–1969) – errang sie einen ersten Preis in Harmonielehre. Nach Legras wurde sie später Lehrerin am Pariser Konservatorium.

In den folgenden Jahren trat sie mit großem Erfolg in Paris auf und spielte neben zeitgenössischen Kompositionen auch Werke des 16., 17. und 18. Jahrhunderts aus der von Louise Farrenc 1863ff. herausgegebenen Sammlung „Le Trésor des pianistes“. In einem von Aristide und Louise Farrenc veranstalteten Konzert im Jahre 1862 spielte Marie-Louise Mongin Werke des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem „Trésor“: „Mlle Mongin, qui était la seule interprète de ces dix-huit morceaux, a fait preuve d’un talent souple, élégant et divers, surtout dans les pièces de Couperin, de Rameau, de Scarlatti et de Bach, qui exigent un style lié, dont on a presque perdu la tradition“ („Mlle. Mongin, welche die einzige Interpretin dieser 18 Stücke war, hat Talent bewiesen, Geschmeidigkeit, Eleganz und Vielseitigkeit, vor allem in den Werken von Couperin, von Rameau, von Scarlatti und von Bach, die einen gebundenen Stil erfordern, eine Tradition, die wir fast verloren haben“) (L’Année musicale 1862, S. 173). Mit ihrem unkonventionellen Programm erntete sie jedoch auch Kritik; man sprach ihr den Status als ernst zu nehmende Künstlerin ab: „C’est Mlle Mongin qui a exécuté toutes ces curiosités musicales. Elle excelle dans le style fugué: ses doigts agiles et exercés sont rompus aux difficultés de ce genre de musique; mais il ne faut demander à cette habile virtuose ni de beaux sons pleins et veloutés, ni la tendresse, ni la passion, ni l’ampleur des grands artistes“ („Es ist Mlle. Mongin, die all diese musikalischen Kuriositäten vorgetragen hat. Sie brilliert im fugierten Stil, ihre beweglichen und geübten Finger sind mit den Schwierigkeiten dieses musikalischen Genres wohl vertraut; aber man kann von dieser geschickten Virtuosin weder schöne, volle und weiche Klänge verlangen, noch die Innigkeit, die Leidenschaft und das Niveau großer Künstler“) (L’Art musical No. 48, 30. Okt. 1862, S. 377f., zit. nach Ellis, S. 279). Auch 1864 fiel sie mit ihrem ungewöhnlichen Konzertprogramm auf, sie trug u. a. Werke von Chambonnières, Kuhnau, Couperin, Scarlatti, Porpora, F. Bach, Lindemann und Rameau vor sowie, zusammen mit dem Geiger Sighicelli, eine Sonate von Louise Farrenc. 1864–1866 konzertierte sie regelmäßig mit dem Lamoureux-Quartett und von 1864 bis 1869 mit dem Lebouc-Quartett.

Aristide Farrenc berichtet François-Joseph Fétis in einem Brief am 18. Jan. 1862 von einem Konzert in den Salons Érard, wo Marie-Louise Mongin eine kranke Mitstudentin vertrat: „Avec Mlle Mongin je suis tranquille: c’est vraiment une petite bénédiction que cette jeune fille“ („Mit Mlle. Mongin bin ich unbesorgt, es ist wirklich ein Segen mit diesem jungen Mädchen“, Fétis, Correspondance, S. 481). Im Trésor des Pianistes wird Marie-Louise Mongin aufgeführt als vorzügliche Repertoire-Interpretin.

Noch 1870 konzertierte sie in Paris mit Werken von Louise Farrenc, danach fehlen Nachrichten über ihr weiteres musikalisches Wirken.

 

LITERATUR

L’Année musicale 1862, S. 173

La France musicale 21. Apr. 1861, S. 122

Le Guide musical. Revue hebdomadaire des nouvelles musicales de la Belgique et de l’Étranger 4. Jan. 1866

RGM 1859, S. 255f.; 1861, S. 227; 1864, S. 70; 1867, S. 20

Signale 1868, S. 269

Fétis

François-Joseph Fétis, Correspondance, hrsg. und kommentiert von Robert Wangermée, Liège 2006.

Katharine Ellis, „Geschlechterrollen und Professionalismus. Pianistinnen im Paris des 19. Jahrhunderts“, in: Professionalismus in der Musik, hrsg. von Christian Kaden u. Volker Kalisch, Essen 1999, S. 275–284.

Catherine Legras, Louise Farrenc, compositrice du XIXe siècle. Musique au féminin, Paris 2003.

Christin Heitmann, Die Orchester- und Kammermusik von Louise Farrenc vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Sonatentheorie, Wilhelmshaven 2004.

Florence Launay, Les compositrices en France au XIXe siècle, Paris 2006.

 

Anja Herold

 

© 2009 Freia Hoffmann