Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

BierlichBierligBiehrlich, Johanna

* 24. Juni 1834 in Jena, Sterbedaten unbekannt, Violinistin. Ersten Unterricht erhielt sie achtjährig bei einem namentlich nicht bekannten Lehrer. Mit neun Jahren trat sie mit einer Violinsonate Mozarts vermutlich erstmals auf. Die Großherzogin von Weimar lud sie im folgenden Jahr zum Vorspiel ein. Im Alter von elf Jahren wurde Johanna Bierlich Schülerin des Dresdener Herzoglichen Hof-Concertmeisters Ludwig Haase (1799ca.1860). Nach sechsmonatigem Unterricht konzertierte sie erfolgreich in Dresden und bekam daraufhin von dortigen Mäzenen eine hochwertige Violine geschenkt. 1846 wurde sie schließlich für einige Monate Schülerin des Gewandhaus-Konzertmeisters und Violinlehrers am Leipziger Konservatorium Ferdinand David (18101873). Louis Spohr soll sich ebenfalls positiv über sie geäußert haben: „Von dem Großmeister des Violinspiels, L. Spohr, besitzt sie die glänzendsten Zeugnisse“ (Täglicher Anzeiger für Berg und Mark, 1. Okt. 1850). Dass sie bei ihm Unterricht gehabt hätte, ist zurzeit nicht belegbar.

1847 reiste Johanna Bierlich nach Berlin  vielleicht auch, um sich weiterhin ausbilden zu lassen, sicher jedoch, um dort zu konzertieren. 1848 tourte sie in Begleitung ihres Vaters durch Bayern (Konzert u. a. in Nürnberg). 1849 musizierte sie in Hamburg und Kiel; 1850 konzertierte sie mit positiver Presseresonanz in Köln, Düsseldorf und Umgebung. Im Frühjahr 1851 trat sie im Anschluss an eine Konzertreise durch Belgien und Holland in Köln auf. Am Ende desselben Jahres musizierte sie in einem Abonnementskonzert im Leipziger Gewandhaus, ebenso in Görlitz. Im April 1852 war sie wieder in Berlin zu hören. Hier durfte sie vor dem Königspaar in Charlottenburg auftreten und „erfreute sich der allerhöchsten Anerkennung“ (Bonner Zeitung 7. April 1852). Im Dezember 1852 und zum Jahreswechsel blieb sie in Wien und erhielt dort, wie im Anschluss auch in Prag, großen Applaus.

 

Johanna Bierlich mit Geige. Lithographie von Gabriel Decker, 1853.

 

1853 war sie erneut in Schlesien und Krakau zu hören, später auch in Gera. Gegen Ende des Jahres plante sie eine Konzertreise nach Kopenhagen mit der Pianistin Minna Bischoff. Anzeige in einer hamburgischen Zeitung: „Die rühmlich bekannte Violin-Virtuosin, […] Johanna Bierlich ist auf einer größeren Kunstreise nach dem Norden begriffen“ (Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 16. Nov. 1853). Über den angekündigten Aufenthalt in Dänemark liegen nach aktuellem Stand keine weiteren Informationen vor. 1854 war Bierlich in einem der Frankfurter Museumskonzerte zu Gast. Im Frühjahr 1855 gab sie ein Konzert in Stuttgart und begab sich anschließend in die Schweiz. Dort feierte sie „außerordentliche Triumphe“ in St. Gallen (Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 21. Febr. 1855). Nach aktuellem Forschungsstand fand ihr letzter öffentlicher Auftritt am 20. März 1855 in Lindau statt. Über spätere musikalische Aktivitäten fehlen zurzeit ebenso Informationen wie über den privaten Werdegang. Der dänische Komponist Hans Christian Lumbye (18101874) hat Johanna Bierlich seinen 1854 komponierten Johanna-Walzer gewidmet. Eventuell trafen sich die beiden während ihrer Konzertreise in Dänemark.

Das Repertoire Bierlichs enthielt typische Virtuosenstücke der Zeit. So spielte sie meist kurze Werke von Vieuxtemps, Panofka, de Bériot und Ernst. Die Kritik beurteilte Bierlichs Darbietungen differenziert. Zwar bescheinigt ihr der Detmolder Korrespondent der „Neuen Zeitschrift für Musik“ „eine solide Schule, Sicherheit und Gewandheit im Spiel, besonders in der Bogenführung“ (NZfM 1851 II, S. 37). Bei Gelegenheit eines Leipziger Konzerts wird sie von derselben Zeitschrift als „hoffnungsvolles Talent“ bezeichnet. „Wir können uns, wenn wir sie als werdende Künstlerin betrachten, günstig über sie aussprechen […]. Anders müßte freilich das Urtheil lauten, […] wenn Frl. B. als gereifte Künstlerin gelten sollte; in diesem Falle würde noch viel zu wünschen übrig bleiben“ (NZfM 1851 II, S. 265). Die „Neue Berliner Musikzeitung" äußert sich zur Bogentechnik der Geigerin: „Der Ton ist gesangvoll und weich, wiederum, wo es erforderlich ist, keck und energisch, ihre Bogenführung sicher. Nur wünschen wir ihr eine glücklichere Haltung des rechten Arms und eine weniger wiegende Haltung des Körpers" (Bock 1852, S. 108). Ein Rezensent der „Rheinischen Musik-Zeitung“ (1850, S. 79) urteilt: „Hiesse sie Joanna Birlocchi, so würde sie vielleicht jetzt schon in Deutschland Furore machen“. Damit spielt der Kritiker auf die große Publikumswirkung der in dieser Zeit tätigen Geigerin Teresa Milanollo an. Vergleiche mit den Geschwistern Milanollo werden häufig gezogen und fallen durchgehend positiv aus: „Unvergeßlich bleibt sie und ihr seelenvolles Spiel, welches sie aufs vollkommenste mit Therese Milanollo theilt“ (Kölnische Zeitung 13. März 1851). In einer vielleicht etwas überspitzten Anzeige wird ein Konzert von Johanna Bierlich sogar empfohlen, „da die Leistungen derselben von Kunstkennern denen der berühmten Geschwister Milanollo nicht nur gleich gestellt, sondern dieselben noch übertreffen soll“ (Westfälische Volks-Halle, 21. Febr. 1850). In den letzten vorliegenden Berichten (1853/1854/1855) wird sie öfters als „Berühmtheit“, „berühmte Violinvirtuosin“ oder „bekannte Violinspielerin“ betitelt, was  – nach nur wenigen Jahren als reisende Virtuosin – auf eine erstaunliche Reputation hindeutet.

Johanna Bierlich gehörte wie auch Pauline HöfflmayerMaria Serato oder Hortensia Zirges zu einem Kreis von Geigerinnen, deren kurzzeitige Erfolge wahrscheinlich mit dem Auftreten der Schwestern Milanollo, aber auch mit günstigeren Entwicklungsmöglichkeiten im liberaleren Klima des Vormärz im Zusammenhang stehen.

 

LITERATUR

Berliner Musikalische Zeitung 1847, Nr. 37

Berliner Musikzeitung 19. Dez. 1849

Bock 1852, S. 108, 118

Bonner Wochenblatt 30. Aug. 1850

Bonner Zeitung 7. Apr. 1852

Caecilia 1847/48, S. 119

Düsseldorfer Journal und Kreisblatt 1850, 20. Sept., 6., 19. Okt.

Echo der Gegenwart 22. März 1851

Fremden-Blatt 12. Jan. 1853

Der Hamburger Beobachter und das Archiv für Wissenschaften und Künste 19. Dez. 1849

Der Humorist 1852, 28. Dez.; 1853, 16. Jan.

Illustrirte Zeitung [Leipzig] 1850 II, S. 191; 1852 I, S. 112

Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 21. Febr. 1855, S. 5

Kais. Königl. Schlesische Troppauer-Zeitung 1853, 1., 2., 4., 5. Febr.

Karlsruher Zeitung 3. März 1855

Kölnische Zeitung 1851, 2., 13., 20. März

Neue Münchener Zeitung 20. März 1855

Neue Wiener Musik-Zeitung 16. Dez. 1852

Neue Zürcher Zeitung 3. Febr. 1855

NZfM 1849 II, S. 276; 1851 II, S. 37, S. 265; 1852 I, S. 197; 1853 I, S. 97; 1855 I, S. 58, S. 72

Die Presse 14. Jan. 1853

Rheinische Musik-Zeitung 1850, S. 79

Schwäbischer Merkur 1. Jan. 1855

Signale 1849, S. 420; 1851, S. 428f.; 1853, S. 326

Solinger Kreis-Intelligenzblatt 5. Okt. 1850

Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 1849, 22. Nov.; 1853, 16. Nov.

Täglicher Anzeiger für Berg und Mark 1850, 1., 6., 8. Okt.

Westfälische Volks-Halle 21. Febr. 1850

Westfälischer Merkur 1850, 21., 23. Febr.

Wiener Theaterzeitung 1852, 10., 23. Dez.

Wöchentlicher Anzeiger für die Königl. Preuss. Kreisstadt Lauban und ihre Umgegend 10. Dez. 1851

Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, hrsg. von Sabine Henze-Döring, 8 Bde., Bd. 6, Berlin 2002.

Dan Fog, Lumbye-Katalog. Fortegnelse over H. C. Lumbyes trykte kompositioner, Kopenhagen 1995.

 

Bildnachweis

Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hebis:30:2-214258.

Volker Timmermann/Leon Mai

 

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