Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

GulyásGulyas, Gulias, Gisela, GisellaGiesela

* 29. Dez. 1869 in Groß-Kanizsa (Nagykanizsa, Ungarn), Sterbedaten unbekannt, nach 1893, Pianistin, Virtuosin auf der von Paul von Jankó entwickelten Klaviatur, die über eine vom herkömmlichen Klavier deutlich abweichende Tastenanordnung verfügt. Sie wurde bei Prof. Hans Schmitt (1835–1907) am Konservatorium in Wien ausgebildet. Bereits im Alter von 14 Jahren gab Gisela Gulyás im Mai 1884 ihr Debüt. Im Juni desselben Jahres schloss sie die Ausbildung mit einem 1. Preis ab und begann ihre Tätigkeit als Reisevirtuosin.

Ihrem ersten Auftritt in Berlin im Febr. 1887 folgten 1888 Konzerte in Leipzig, Dresden, Berlin und Klagenfurt. In diesem Jahr wird in der Presse zum ersten Mal ihr Spiel auf der von Paul von Jankó (1856–1919) erfundenen Klaviatur erwähnt. Diese besteht aus sechs Tastenreihen. Zwei Reihen gehören jeweils zusammen, indem die untere Reihe in Ganztönen von C aus, die obere von Cis aus fortschreitet. Diese Anordnung sowie die Verminderung der Spannweite einer Oktave um ein Siebtel ermöglicht viele neue Effekte. Ab 1886 führte Jankó die Neuklaviatur auf Konzertreisen vor. In Dresden konzertierten Jankó – ebenfalls Klavierschüler Hans Schmitts – und Gulyás auch gemeinsam, wo sie unter anderem vierhändig spielten. Gisela Gulyás wurde bald zu einer der HauptvertreterInnen der Jankó-Klaviatur und bestritt darauf von 1886 an fast jedes Konzert. Auch gab sie Konzerte, in denen sie sich abwechselnd der traditionellen und der neuen Klaviatur bediente. Beim Besuch des Duke of Cumberland und der Prinzessin von Hannover in Wien war Gisela Gulyás die Spezialistin, die den Gästen im Klaviersalon von R. W. Kurka Jankós Neuheit präsentierte. Die mittlerweile 18-jährige Pianistin fand in Paul von Jankó einen Förderer, der sich für sie um Engagements bemühte.

1889 wirkte sie in Wien in mehreren von Jankó organisierten Werbeveranstaltungen mit. Die mittlerweile bekannte Klaviervirtuosin wurde im selben Jahr von dem Konzertunternehmer Steyskal für eine Serie von 100 Konzerten engagiert. Ihre Tournee sollte sich über weite Teile Deutschlands und über Österreich-Ungarn erstrecken. Auch die Agentur Hermann Wolff in Berlin vertrat die junge Pianistin. Im Jahr 1890 trat sie weiterhin als eine Hauptvertreterin der Jankó-Klaviatur in Wien auf, wo ihr ehemaliger Lehrer Professor Schmitt mittlerweile als „der Schutzpatron dieser neuesten Mode“ (Bock 1891, S.53) galt.

Mit ihm zusammen gab Gulyás ihr erstes Konzert im Jahr 1891, das im Jan. in Wien stattfand. Im Juni 1891 folgten Konzerte in Wiesbaden, Baden-Baden und Gotha. Beim Baden-Badener Auftritt war ihre Partnerin die Konzertsängerin Clara Polscher, mit der sie bereits 1888 in Leipzig gemeinsam konzertiert hatte. Die „Neue Zeitschrift für Musik“ berichtet im Jahr 1891: „Beide Künstlerinnen haben früher eine Tournée zusammen unternommen“ (NZfM 1891, S. 69). Möglicherweise handelte es sich hier um die von Steyskal 1889 organisierte Konzertreise. Im Apr. 1893 ist ein Konzert in der Berliner Singakademie belegt, das Gisela Gulyás gemeinsam mit der Hofopernsängerin Rothmühl bestritt.

Zum Hauptrepertoire Gulyás' auf der Jankó-Klaviatur zählten Beethovens Sonate c-Moll op. 111, Chopins Scherzo Nr.1 h-Moll Op. 20, Liszts Spinnerlied aus Der Fliegende Holländer von Wagner, Moszkowskys Tarantelle op. 77 Nr.6, Schumanns Nachtstück aus op. 23 und Carnaval op. 9, Tschaikowskys Lied ohne Worte op. 2 Nr.3 und der Walzer aus Delibes Naïla in der Bearbeitung von Paul von Jankó.

Die Presse rühmte ihre „staunenerregende Virtuosität“ (NZfM 1888, S. 118) und ihre „bemerkenswerte Technik“ (Bock 1888, S. 411), doch wurde Gulyás' Verwendung der Neuklaviatur des Öfteren kritisiert. So urteilen die „Signale für die musikalische Welt“: Gisela Gulyás „wäre uns ohne Janko-Claviatur weit sympathischer gewesen“ (Signale 1891, S. 263). Eduard Hanslick konstatiert: „Ich […] kenne aber die ausgezeichneten Leistungen der Gulyas seit lange [sic] und weiß, daß sie dazu nicht einmal der neuesten Mode, der ‚Janko-Claviatur‘, bedarf. Mit ihrem Talent spielt man ebenso gut auf der ‚alten‘ Claviatur, die nicht nur wir gewöhnlichen Leute, sondern vorläufig noch alle großen Componisten und Virtuosen benützen“ (Neue Freie Presse 16. Jan. 1891).

 

LITERATUR

Bock 1886, S. 408; 1887, S. 45; 1888, S. 335, 411; 1889, S. 130; 1891, S. 53; 1893, S. 192

Deutsche Musik-Zeitung 1884, S. 237, 338; 1885, S. 16, 170; 1889, S. 270

FritzschMW 1891, S. 124

Magazine of Music 1893, S. 114

The Monthly Musical Record 1889, S. 152

Musical Opinion & Musical Trade Review 1888 , S. 276

The Musical Standard 1905 II, S. 195

MusW 1885, S. 14

Neue Freie Presse [Wien] 1884, 4. Mai, 19. Dez; 1886, 14. Febr.; 1887, 12. Febr.; 1889, 27., 31. März, 8. Apr., 19., 25. Okt., 6., 9. Nov.; 1890, 17. Nov.; 1891, 16. Jan.

1891, 6., 16. Jan.

NZfM 1885, S. 21; 1887, S. 65; 1888, S. 58, 118, 133, 199, 487; 1889, S. 318, 428; 1890, S. 91; 1891, S. 69, 471

Signale 1885, S. 1011; 1887, S. 217; 1888, S. 476, 882; 1889, S. 161; 1891, S. 263; 1893, S. 441

Die Presse [Wien] 1884, 9. Mai, 28. Juni, 18. Nov., 7., 18. Dez.; 1886, 23. März; 1887, 27. März; 1888, 26. Jan.

Brockhaus Riemann, Art. Jankó

Ludwig Eisenberg u. Richard Groner (Hrsg.), Das geistige Wien. Mittheilungen über die in Wien lebenden Architekten, Bildhauer, Bühnenkünstler, Graphiker, Journalisten, Maler, Musiker und Schriftsteller, Wien 1889.

 

Gabriella Paterson/FH

 

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