Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

HummlerHumler, Sophie, Sophia

* 19. Juni 1841 in Bad Saulgau, † 22. Juli 1918 in Stuttgart, Violinistin. Ihre Mutter war Anna Maria geb. Langenberger, zweite Ehefrau des Vaters Karl (Carl) Hummler, einem in Saulgau ansässigen Schneider. Während Sophie Hummler aus der ersten Ehe ihres Vaters einen Halbbruder hatte, war sie das einzig überlebende der fünf Kinder ihrer Mutter. Es ist denkbar, dass sie ihren ersten Violinunterricht vom Großvater mütterlicherseits, einem Schullehrer im nahen Tafertsweiler, erhalten hat.

Noch im Kindesalter verließ Sophie Hummler zu Ausbildungszwecken Oberschwaben und wechselte nach München. Im Apr. 1853 schreibt die „Neue Münchener Zeitung“: „Sophie Humler ist, dem Vernehmen nach, erst seit 18 Monaten Elevin des k. Konservatoriums, wo sie von dem k. Hofmusiker Herrn [Heinrich] Kahl [1812– vor 7. Juli 1864] unterrichtet wird“ (Neue Münchener Zeitung 27. Apr. 1853). Möglicherweise erhielt sie dort zudem Unterweisungen durch den Geiger Johann Christoph Lauterbach (1832–1918). Neben Amelie Bido war Sophie Hummler damit nach derzeitigem Kenntnisstand die erste Geigerin, die im deutschsprachigen Raum an einem Konservatorium unterrichtet wurde.

Bereits während der Münchener Zeit trat Sophie Hummler öffentlich auf, etwa in einem Konzert im Apr. 1853 im Münchener Museum, wo ihr Spiel „als rein, kräftig und präcis“ (ebd.) beschrieben wurde. Auch im Juli jenes Jahres war sie in München zu hören, in ihrer Heimatstadt Saulgau spielte sie im Aug., in Stuttgart im Nov., in Zürich dann im folgenden Jahr 1854. Dennoch durchlief die Geigerin keine Karriere als Kindervirtuosin. Stattdessen wechselte sie spätestens im Frühjahr 1856 nach Paris, wo sie am Konservatorium vom Habeneck-Schüler Delphin Alard (1815–1888) wohl knapp vier Jahre lang weitere Unterweisung erhielt. In den ‚Concours publics‘ des Konservatoriums errang sie sowohl 1856 als auch 1857 zweite Preise, wobei 1857 lediglich der später hochberühmte Pablo de Sarasate vor ihr positioniert war. So scheint die Bemerkung der „Nürnberger Neuesten Nachrichten“ zwar nicht ganz richtig, von Interesse ist aber die Geschlechterverteilung in Alards Violinklasse, die hier durchscheint: Hummlers „Fleiß krönte das Pariser Conservatorium zweimal durch Ertheilung von Preisen, wobei es nicht wenig heißen will, daß sie bei dem zweiten musikalischen Conkurs, dem die Künstlerin sich unterzog, als einzige Dame über einundzwanzig Mitbewerber den Sieg durch Erringung des ersten Preises davontrug“ (Nürnberger Neueste Nachrichten 23. Febr. 1864).

In Paris trat Sophie Hummler schon während ihrer Studienzeit am Ende der 1850er Jahre auf, z. B. 1856 bei Érard sowie 1858 und 1859 in jeweils eigenen Konzerten in der Salle Pleyel. Zudem verließ sie die Stadt an der Seine bereits während der Ausbildungszeit, um andernorts zu musizieren. Im Okt. 1857 spielte sie in Stuttgart im Abonnementskonzert. 1858 erschien sie  erstmals in Großbritannien. Der Theologe und Autor Albert Werser beschrieb in einem Reisebericht ein Treffen mit der Geigerin in der Schweiz. Dabei, so der Autor, schilderte sie ihm auch die Schwierigkeiten ihrer Existenz als Musikerin. „In London habe sie sich zwei Monate aufhalten und in einem der ersten und theuersten Gasthöfe logiren müssen, bis sie nur vorgekommen sei. So groß sei der Andrang von Künstlern“ (Werser, S. 417). Der Einstieg ins Londoner Konzertleben gelang ihr offenbar durch die Mitwirkung in den Konzerten der „Swedish National Singers“, einem in originären Trachten auftretenden, nordische Folklore singenden Nonett. Mit diesem Gesangsensemble, dessen Auftritte Hummler mit Instrumentalbeiträgen garnierte, ging die Geigerin auch auf Tour. So lassen sich zwischen Juli und Nov. 1858 Konzerte außerhalb Londons nachweisen (Liverpool, Exeter, Ipswich). Im kommenden Sommer war die Geigerin dann ohne die schwedischen Vokalisten in Großbritannien tätig, es finden sich für den Juli und Aug. 1859 Konzerte in London. Auch im Jan. 1860 war die Geigerin auf der Insel tätig, sie spielte in Manchester, Derby und Birmingham. Im Febr. ließ sie sich in Exeter hören, im März spielte sie anlässlich der Jahresfeier der Royal Society of Musicians in London.

 

Sophie Hummler, Stich von unbekannter Hand, abgebildet 1858.

 

Danach wurde der bis dahin so international ausgerichtete Arbeitsbereich kleinräumiger. Für die 1860er Jahre lässt sich eine ausgesprochen rege Konzerttätigkeit dokumentieren, doch die vorliegenden Nachweise (weit überwiegend aus der Tagespresse) verweisen fast ausschließlich auf den süddeutschen und den Alpenraum. Dort hat sich die Geigerin keineswegs nur in größeren Zentren hören lassen. So sind beispielsweise 1865 Auftritte in Linz, Dornbirn, Regensburg, Ansbach, Landshut, Kempten, Passau, Stadtamhof und Straubing nachweisbar.

Nach dieser Zeit intensiven Konzertierens finden sich immer weniger Spuren Sophie Hummlers. Schon in den 1870er Jahren lassen sich nur einzelne Auftritte nachweisen. In Baden-Baden war sie 1871 tätig, 1876 spielte sie in Mainz im Konzert unter Franz Mannstädts Leitung, 1880 lässt sich ein Auftritt in Esslingen finden. Über den weiteren Lebensweg liegen derzeit keine Informationen vor. Es ist insbesondere unklar, ob anstelle der offenbar weniger werdenden Konzertverpflichtungen eine andere Tätigkeit (etwa das Unterrichten) trat. Anscheinend hat Sophie Hummler noch spät versucht, ihre Ausbildung zu erweitern. In einem Dokument zu den Württembergischen Staatsfinanzen findet sich unter den Ausgaben des Allgemeinen Reservefonds für 1869/70 auch der Posten: „der Violinspielerin Sophie Hummler Unterstützung zu weiterer Ausbildung. 250 fl. – kr.“ (Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1870 bis 1872, S. 161). Es ist nicht klar, in welchem Rahmen, mit welchen Personen und zu welchem Zweck diese Fortbildung stattfand.

Soweit erkennbar, spielte Sophie Hummler (neben Beethovens Romanze F-Dur und Klaviertrios von Haydn) vor allem saloneske Virtuosenstücke, Bearbeitungen und Opernparaphrasen, wobei Werke ihres Lehrers Alard einen Schwerpunkt darstellen. Das offenbar ohnehin begrenzte Repertoire wurde in den 1860er Jahren anscheinend ausgesprochen schmal, es waren meist dieselben wenigen Werke, mit denen die Geigerin tourte (Musik von Bach/Gounod, Beethoven, Vieuxtemps, Alard sowie ein Klaviertrio Haydns, das mit lokalen Musikern gespielt wurde).

Die Art ihres Violinspiels bildet sich in zahlreichen zeitgenössischen Beurteilungen ab, wobei sich diese insbesondere in der zeitgenössischen lokalen Tagespresse finden und entsprechend über die Qualität der Urteilskraft und Tiefe der Fachkenntnis der jeweiligen Autoren keine Aussagen gemacht werden können. Der Tenor ist in diesen Texten insgesamt positiv, bisweilen euphorisch, wie etwa 1865 in der „Fränkischen Zeitung“: „Was wir aber in allen Ihren Leistungen besonders rühmenswerth erachten, das ist jene natürliche Sprache des Herzens, in welcher das Instrument aus ihren Händen zu uns spricht bald zu Thränen rührend, bald heiter scherzend, aber immer warm, voll und ursprünglich, ohne Zwang und Manierirtheit, die uns leider so oft bei Virtuosen begegnen“ (Fränkische Zeitung 14. März 1865). Daneben gibt es auch Beispiele für differenziertere Bewertungen: „Frl. Hummler bewies eine Geschicklichkeit, die manchmal an Virtuosität grenzte. Geist, Seele und Schwung zeigte[n] sich in dem Grade, daß die Tempo-Bestimmungen nach Vorschrift und Einübung genau eingehalten wurden; die Technik ist sehr ausgebildet, doch nicht ganz ohne Fehler; zu letzteren gehört unstreitig auch das herbe grelle Ansetzen des Bogens“ (Wochenbulletin der Linzer Bühne 3. Juni 1865). In Einzelfällen lassen sich auch deutlich abschätzige Meinungen finden, so etwa aus München 1866, wobei auch hier die Kritik an einem zu harschen Bogeneinsatz durchscheint: „Das, was uns Frln. Humler als Kunstleistung bot, läßt sich nur mit dem Gebahren eines im Café chantant verkommenen Virtuosen vergleichen. Jeder Tact erschien zur Carricatur verzerrt, und vielfach wurde mit dem Bogen mehr geschlagen als gestrichen. Sollte diese Art von Violinspiel für die Folge allgemein werden, dann wird man vielleicht im zwanzigsten Jahrhundert auf den Concertzetteln lesen: ‚Violinconcert von X., vorgehauen von Y.‘

Daß die Concertgeberin in rein technischer Beziehung viel und mancherlei gelernt habe, und überhaupt ein entschiedenes Talent bekunde, sei gerne zugegeben, allein was hilft das Alles, so lange die Kunst des Vortrags und der Sinn für edle Klangfarbe noch auf so niederer Stufe stehen? – Frln. Humler ist noch jung, und wird diese Ecken sicherlich noch abzuschleifen vermögen, wenn sie sich überwinden kann, die jedenfalls zu früh betretene Virtuosenlaufbahn vorläufig wieder zu verlassen, um die Zeit, statt sie mit Concertreisen zuzubringen, dem hingebenden und ausdauernden Studium unter einem deutschen Meister zu widmen“ (Morgenblatt zur Bayerischen Zeitung [München] 14. Apr. 1866).

Sophie Hummler spielte eine 1863 gebaute Violine von Jean-Baptiste Vuillaume, die sie bis 1904 besaß und die sich heute im Privatbesitz in den USA befindet. Das Instrument trägt inzwischen den Namen der Geigerin (‚ex-Sophie-Humler‘). Da Delphin Alard der Schwiegersohn Vuillaumes war, lässt sich eine Verbindung Hummlers zum berühmten Pariser Geigenbauer über ihren Lehrer vermuten.

 

 

 

LITERATUR

Brief von Sophie Hummler an B. Sippel, 10. Jan. 1865, Staatsbibliothek Bamberg Autogr. H 14 (Dank an Gerald Raab)

Familienregister Hummler, Stadtarchiv Saulgau (Dank an Maria Gelder)

Allgemeine Zeitung [Augsburg], Beilage, 23. Febr. 1866

Almanach Musical 1857, S. 20; 1858, S. 21

Amts- und Intelligenzblatt [Saulgau] 1853, 2., 13., 20. Aug.

Annuaire Musical [Paris] 1857, S. 22

Athenæum 1858 I, S. 824; 1858 II, S. 89; 1859 II, S. 89

Augsburger Neueste Nachrichten 1866, 23., 26. Febr.

Augsburger Postzeitung 28. März 1866

Bayerischer Kurier [München] 1866, 18., 31. März

Birmingham Daily Post 23. Jan. 1860

Blätter für Musik, Theater und Kunst [Wien] 1857, S. 308, 356; 1860, S. 319

Bock 1854, S. 383; 1858, S. 136; 1863, S. 278; 1880, S. 103

Bregenzer Wochenblatt 1862, S. 87

The Critic 1859 II, S. 161f.

Daily News [London] 21. Juli 1859

The Derby Mercury 1860, 11., 18. Jan.

Deutscher Bühnen-Almanach 1861, S. 225

Donau-Zeitung [Passau] 19. Mai 1865

FM 1856, S. 247; 1859, S. 165, 327; 1860, S. 325

Fränkische Zeitung (Ansbacher Morgenblatt) 1865, 9., 14. März

FritzschMW 1871, S. 427

Fürther Tageblatt 1864, 11. März, 1. Apr.

Illustrated London News 31. Juli 1858

The Ipswich Journal 13. Nov. 1858

Kemptner Zeitung 1861, 2., 6. Febr.

Landshuter Zeitung, Beiblatt, 17. Apr. 1865

Leader and Saturday Analyst 1859, S. 935

Linzer Tages-Post 1865, 27. Mai; 1868, 21. Juli

Liverpool Mercury 1858, 17., 24. Aug.

Manchester Times 7. Jan. 1860

Le Ménestrel 1856, 30. März, S. 4; 1857, 2. Aug., S. 2; 1858, 14. März, S. 4, 4. Apr., S. 4, 25. Apr., S. 3, 2. Mai, S. 3, 22. Aug., S. 3

Le Monde Illustré 8. Aug. 1857, S. 15

Morgenblatt zur Bayerischen Zeitung [München] 1866, 31. März, 14. Apr.

Morning Chronicle 1858, 12., 13. Juli; 1859, 15. Aug.; 1860, 9. März

Münchener Tagblatt für Stadt und Land 27. Apr. 1853

Musical Gazette 1858, S. 335

MusW 1858, S. 524, 715; 1859, S. 381, 444, 449, 474, 492, 540; 1860, S. 152

Neue Augsburger Zeitung 1866, 18., 24., 27., 28. Febr., 18., 31. März

Neue Münchener Zeitung 1853, 27. Apr., 21. Juli

Neuer Bayerischer Kurier für Stadt und Land [München] 24. März 1866

Neues Bayerisches Volksblatt [Stadtamhof/Regensburg] 19. März 1865

Nürnberger Abendzeitung 2. März 1864

Nürnberger Anzeiger 26. Febr. 1864

Nürnberger Neueste Nachrichten 23. Febr. 1864

NZfM 1857 II, S. 204; 1860 II, S. 127; 1862 II, S. 54, 114; 1866, S. 82; 1875, S. 133; 1880, S. 150

The Observer [London] 18. Juli 1858

Revue des Beaux-Arts 1858, S. 160

RGM 1858, S. 134

Schwäbischer Merkur 1853, 3. Nov.; 1869, 6. März

Sibylle. Unterhaltungsblatt zum Würzburger Journal 1863, S. 156

Straubinger Tageblatt 30. Apr. 1865

Süddeutsche Musik-Zeitung 1860, S. 202; 1862, S. 162

Symphonia. Fliegende Blätter für Musiker und Musikfreunde 1863, S. 71

Tag- & Anzeigeblatt für Kempten und das Allgäu 16. Dez. 1865

Trewman's Exeter Flying Post or Plymouth and Cornish Advertiser [Exeter] 1858, 16. Sept.; 1860, 15. Febr.

Urania. Musik-Zeitschrift für Orgelbau und Orgelspiel 1877, S. 156

Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten von 1870 bis 1872, zweiter Beilagen-Band, Erste Abtheilung, Stuttgart 1871, S. 161

Vorarlberger Landes-Zeitung 16. Dez. 1865

Wiener Zeitung 17. Aug. 1858

Wochenbulletin der Linzer Bühne 3. Juni 1865

Würzburger Stadt- und Landbote 1863, 27. Apr., 1. Mai

Zweibrücker Wochenblatt 1868, 9., 13. Febr.

Albert Werser, „Ein Ausflug in die Schweiz“, in: Fortbildungsschule für deutsches Volk und deutsche Jugend. Eine Zeitschrift für’s Leben 3 (1866), S. 416–430.

Cozio.com. Identification and Pricing Information about Fine Stringed Instruments,http://www.cozio.com/Owner.aspx?id=6029, Zugriff am 23. Aug. 2013.

 

Bildnachweis

Illustrated London News 31. Juli 1858

Bregenzer Wochenblatt 3. Juni 1862

 

Volker Timmermann

 

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