Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

GerbiniGarbiniGardini, Luigia, Lugia, Luisa, Louise

* ca. 1770 in Turin, Sterbedaten unbekannt, Violinistin und Sängerin. Sie stammte, vermutlich ebenso wie die Geigerin Giulia Paravicini, aus Turin. Gerbini bezeichnete sich selbst als Schülerin Giovanni Battista Viottis (1755–1824), war vermutlich jedoch zunächst Schülerin Gaetano Pugnanis (1731–1798). Einzelheiten über ihre Ausbildung sind nicht bekannt.

Luigia Gerbini, die auch eine profilierte Sopranistin war, kombinierte zunächst ihre Gesangs- und Instrumentaltätigkeiten. Im ersten Jahrzehnt ihrer Karriere scheint der Schwerpunkt auf dem Gesang gelegen zu haben. Deutlich wird dies etwa an ihren zahlreichen Engagements: Ihr Debüt gab sie vermutlich 1790 im Theater von Gorizia (Italien). Im Nov. desselben Jahres erschien sie zunächst am Pariser Théâtre du Monsieur, wo sie nicht nur sang, sondern auch in den Zwischenakten Violine spielte. Danach wurde Gerbini auch an anderen Pariser Theatern engagiert, etwa im gesamten Jahr 1791 am Théâtre Feydeau. 1794–96 war sie in Italien zu hören: 1794 im Florentiner Teatro della Pergola in der Oper, 1794 konzertierte sie mit Gesang und Geige an der Mailänder Scala. In diesem und im folgenden Jahr ließ sie sich – wiederum als Sängerin und Violinistin – in Konzerten in Livorno, Rom und Neapel hören. Gleichzeitig war sie – etwa 1796 im Teatro Avvalorati in Livorno – weiterhin als Bühnensängerin tätig. 1798–99 wechselte Gerbini dann nach Spanien und war am Teatro Los Canòs tätig. 1799 und 1800 war sie Mitglied des Ensembles des Teatro San Carlos in Lissabon und spielte in den Zwischenakten unter großem Beifall auch Violine. 1801 kehrte sie nach Madrid zurück, ging danach – auch hier ebenfalls als Geigerin – nach London.

Ab 1803 setzt sie ihre Reisetätigkeit auch im deutschsprachigen Raum fort. Zunächst in Braunschweig und Berlin, musizierte sie 1804 in Königsberg, Petersburg, Riga und Mittau. 1805/06 reiste sie – möglicherweise ausschließlich als Sängerin – durch Niedersachsen. 1806 war sie wiederum an der Scala in Mailand zu Gast, im Jahr 1807 ließ sie sich in Wien hören, 1810 in Augsburg, Würzburg, Frankfurt a. M., Kassel und Straßburg. 1811 konzertierte sie in Paris, 1812 in Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen und Stockholm, 1813 nochmals in Kopenhagen. Möglicherweise besuchte Gerbini in dieser Zeit auch Polen. 1814 war sie beim Music Festival in Newcastle zu Gast. 1818 hat sie nochmals London besucht. Wie so oft bei Instrumentalistinnen dieser Zeit, ist über den weiteren Lebensweg Luisa Gerbinis nichts Näheres bekannt.

Die Verbindung von Violinspiel und Gesang war im frühen 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Auch Giulia Paravicini, Marianne Crux oder Elisabeth Filipowicz haben sich in dieser Zeit gelegentlich als Sängerinnen hören lassen, zuvor hatte Gertrud Elisabeth Schmeling ihrer später erfolgreichen Laufbahn als Sängerin im Kindesalter eine kurze Karriere als Violinistin vorangestellt. Anders als Letztere verschob Gerbini anscheinend jedoch ihr Tätigkeitsfeld mit zunehmendem Alter immer mehr fort vom Gesang und hin zur Violine. Soweit erkennbar, verzichtete Gerbini ab ca. 1807 weitgehend auf eigene Gesangsbeiträge und musizierte öffentlich nur noch als Geigerin. Stattdessen engagierte sie Sängerinnen und Sänger für ihre jeweils unter eigenem Namen veranstalteten Konzerte.

Programmatisch war die Violinistin Gerbini, soweit erkennbar, auf einen überschaubaren Kreis von Komponisten festgelegt. Offenkundig bildeten vor allem Violinwerke von Rode und Viotti einen Schwerpunkt ihres Repertoires, daneben konzertierte sie auch mit Werken von Kreutzer und Baillot.

Auch Luigia Gerbini wurde als Geigerin der Zeit entsprechend schon aufgrund der Instrumentenwahl kritisch betrachtet. So ist in einem Leserbrief an den „Newcastle Weekly Chronicle“ angesichts ihres Festival-Auftrittes zu lesen: „It is unseemly as well as uncommon to behold a female playing the violin and prejudice will operate, along with her other defects, to prevent her retaining the good opinion of the public (zit. nach Pegg, S. 31). Dennoch wurde Gerbini von der Musikkritik wie kaum eine andere Geigerin dieser Zeit als erstklassige Violinistin anerkannt. Regelmäßig gelobt wurden dabei die technischen Qualitäten Gerbinis, „deren ausserordentliche Kraft des Bogens, deren Stärke in Passagen und Schwierigkeiten für ein Frauenzimmer beynahe bis zum Unglaublichen geht“ (AmZ 1806/07, Sp. 399). Besondere Erwähnung fand die Qualität ihres Bogenarms: „Sie besitzt eine grosse Gewandtheit und Festigkeit in allen Stricharten, die sie kräftig, wie ein Mann, in den geschwindesten und bedeutendsten Passagen anwandte, und spielte alles so bestimmt und präcis, wie man es von einem Frauenzimmer nicht erwartet und gewiss auch sehr selten zu hören bekömmt“ (AmZ 1809/10, Sp. 792). Ein Wiener Kritiker ordnet ein, dass sie unter die stärksten Violinisten (Männer mit eingerechnet) gehört, die wir je angetroffen haben, und eine Kraft des Bogens, eine Sicherheit und Stärke selbst in den höchsten Tönen und eine Präzision des Vortrags besitzt, welche sie des allgemeinsten Beyfalles vollkommen würdig machen“ (Neue Annalen der österreichischen Literatur 1807, Intelligenzblatt Apr., Sp. 177). Den Maßstab bilden bei solch lobenden Erwähnungen einmal mehr die als „männlich“ betrachteten Fähigkeiten – etwa der Faktor „Kraft“ in der Bogentechnik –, deren Erreichen die Kritiker offenkundig überraschte. Da ist es letztlich konsequent, dass der Rezensent der „Zeitung für die elegante Welt“ in Luigia Gerbini schon beinahe einen Mann sah: „Ihre mehr männliche als weibliche Haltung und Gestalt verhinderte dabei einen zu grellen Kontrast“ (Zeitung für die elegante Welt 1803, Sp. 1066).

 

LITERATUR

AmZ 1803, Sp. 247, 264; 1804, Sp. 247; 1806/07, Sp. 399; 1809/10, Sp. 792; 1812, Sp. 401, 646, 868f.; 1813 Sp. 98, 463; 1819, Sp. 299f.

Fränkisch-Würzburgische Chronik 1810, Sp. 433–438,

Der Freimüthige oder Scherz und Ernst 1805 I, S. 272; 1806 II, S. 248.

Gazeta de Lisboa 10. Jan. 1801

Gazzetta Toscana 1794, S. 179.

Hamburgische unpartheyische Correspondent 4. Nov. 1803

Journal des Luxus und der Moden 1805, S. 531; 1807, S. 250.

Mercure de France 27. Nov. 1790, S. 152f.

Miszellen für die Neueste Weltkunde 1810, S. 72

Morgenblatt für gebildete Stände 1810, S. 636, 1044, 1160

The Morning Chronicle [London] 1802, 23. Nov.; 1803, 1. Febr., 23. Apr., 30. Mai; 1814, 19. Mai

Neue Annalen der österreichischen Literatur 1807, Intelligenzblatt Apr., Sp. 177

The Times [London] 13. Dez. 1802.

Trewman's Exeter Flying Post or Plymouth and Cornish Advertiser 30. Juni 1814.

Vier und vierzigstes Neujahrstück der allgemeinen Musik-Gesellschaft in Zürich: Die frühen Musikgesellschaften in Zürich bis auf ihre Vereinigung zu der gegenwärtigen, Zürich 1856, S. 15.

Vossische Zeitung [Berlin] 19. Apr. 1810

Wöchentliche Unterhaltungen für Liebhaber deutscher Lektüre in Rußland [Mitau] 1806 II, S. 115–120.

Zeitung für die elegante Welt 1803, Sp. 1066

Chor/Fay, Sainsbury, Schilling, Schla/Bern, Mendel, Wasieliewski, RudolphRiga, Eitner, Van der Straeten, Mason Clarke, Berutto, Kutsch/Riemens

Carl Israel Ruders, Reise durch Portugall. Nach dem schwedischen Original bearbeitet von H. S. A. Gerken, Berlin 1808.

Richard Edgcumbe, Musical Reminiscences, Containing an Account of the Italian Opera in England, from 1773. The fourth Edition, Continued to the Present Time, London 1834, S. 111.

George Dubourg, The Violin. Being an Account of that leading Instrument and its most eminent Professors, London 1836.

Fredrik August Dahlgren, Förteckning öfver svenska skådespel uppförda på Stockholms theatrar 1737–1863 och Kongl. theatrarnes personal 1773–1863 med flera anteckningar, Stockholm 1866.

Wilhelm Joseph von Wasielewski, Die Violine und ihre Meister, Leipzig 1869.

Armand Streit, Geschichte des bernischen Bühnenwesens vom 15. Jahrhundert bis auf unsere Zeit. Ein Beitrag zur schweizerischen Kultur- und allgemeinen Bühnengeschichte, 2 Bde., Bd. 2, Bern 1874.

Jules Martiny, Histoire du théâtre de Liège depuis son origine jusqu’à nos jours, Lüttich 1887.

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Volker Timmermann

 

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