Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Brée, Bree, Malwine, Malvine, Malvina, geb. Burstein

* 14. März 1851 in Jablunkau im österreichischen Herzogtum Ober- und Niederschlesien (heute Jabłonków, Tschechien), † 3. Febr. 1937 in Wien, Pianistin und Klavierlehrerin. In der Presse wird mehrfach ihre Ausbildung in Berlin bei Carl Tausig (18411871) erwähnt, im Sommer 1872 hielt sie sich auch im Kreis der Liszt-SchülerInnen in Weimar auf.

Im März 1868 meldet die Wiener Presse das Debüt von Malwine Burstein im Verein „Helikon“: Ihr Anschlag ist weich und ihre Technik eine weit vorgeschrittene“ (Neues Fremden-Blatt 24. März 1868). 1870 tritt sie zum ersten Mal unter den „Wiener Künstler-Nobilitäten“ als „Malwine Brée“ in Erscheinung. Anlass ihrer Erwähnung war eine Zusage der 19-Jährigen, am 25. Juli 1870 bei einer Wohltätigkeits-Akademie in Franzensbad (Františkovy Lázně, Tschechien) mitzuwirken. Ein solches Auftreten schien angemessen, nachdem sie wohl kurz zuvor den aus Mähren stammenden Arzt und Schriftsteller Moritz Brée (18411916) geheiratet hatte. Die weitere Karriere entsprach allerdings nicht den zeitüblichen Erwartungen an eine gutsituierte Ehefrau: Im Sept. 1871 trat sie auf der Nordseeinsel Norderney mit Webers Konzertstück, dem Scherzo b-Moll op. 31 von Chopin und der 15. Ungarischen Rhapsodie von Liszt auf  offensichtlich mit dem Anspruch, to achieve for herself a high position as a performer on the piano (Athenæum 1871 II, S. 401). Ein Gast aus Leipzig formulierte seine Eindrücke für die englische Presse: She displayed a power of touch, so far as I can recollect only surpassed by Rubinstein, and her execution was marked throughout by correctness and unusual animation“ (ebd.). In Wien vereinigte sich Malwine Brée mit der Violinistin Eugenie Epstein und deren Schwester, der Violoncellistin Rudolphine Epstein, zu einem „Damen-Trio“, dessen erstes Konzert am 6. Jan. 1874 im Bösendorfersaal stattfand. Auf dem Programm standen u. a. das Klaviertrio c-Moll op. 1 Nr. 3 von Beethoven und die Phantasiestücke a-Moll für Klaviertrio op. 88 von Schumann. Frau Dr. Brée zeichnete sich besonders aus als tüchtige Pianistin durch den Vortrag der F moll-Phantasie von Chopin (AmZ 1874, Sp. 76).

Kurz darauf starteten die drei Musikerinnen eine Konzertreise nach Paris, bei der sie als Solistinnen eines „zweiten Wiener Frauenorchesters“ auftraten. Das „Erste Europäische Damenorchester“, Ende der 1860er Jahre von Josephine Amann-Weinlich gegründet, hatte von Dez. 1873 bis Jan. 1874 im Pariser Casino Cadet konzertiert. In demselben Ballsaal konnte offensichtlich ein zweites Frauenorchester unter der Leitung von Marie Schipek an dessen Erfolge anknüpfen. In einem Korrespondentenbericht aus Paris vom 17. März 1874 ist über die täglichen Auftritte zu lesen: „Die Schwestern Epstein, Violine und Violoncell spielend, und die Pianistin Malvina Brée haben sich bis jetzt als Solistinnen nicht übel hervorgethan“ (Signale 1874, S. 312). Eine weitere Solistin war die Preßnitzer Zitherspielerin Marie Knebelsberger. Aus deren Tagebüchern geht hervor, dass das Orchester seine mehrmonatige Reise über Nordfrankreich, Belgien und die Niederlande bis Baden-Baden ausdehnte und eine Vielzahl von Konzerten mit bis zu 2000 ZuhörerInnen bestritt. Ob Malwine Brée die Reise in Gänze mitgemacht hat, ist zurzeit nicht zu ermitteln.

Nachdem Malwine Brée Mitte der 1870er Jahre Unterricht bei Sofie Menter genossen hatte (Deutsche Zeitung 8. Jan. 1874), nahm sie 1882 ihr Klavierstudium wieder auf, und zwar bei dem polnischen Pianisten Theodor Leschetizky (18301915), der seit 1878 seinen Wohnsitz in Wien hatte und als einer der bedeutendsten Pianisten und Klavierlehrer des 19. Jahrhunderts galt. Dieses erneute Studium gab ihrer Karriere eine unerwartete Wendung: „Ich hatte ursprünglich gar nicht die Absicht, mich dem Klavierlehrberufe zu widmen, erst Leschetizky brachte mich dazu, indem er erklärte, er brauche eine Assistentin, die ihn und seine Lehrmethode verstehe. Ich gehörte damals zu seinen bevorzugtesten Schülerinnen und ging auf seinen Vorschlag ein“ (Neue Freie Presse 17. Nov. 1915), berichtet Brée in einem Interview 1915. Leschetizky wurde von zahlreichen PianistInnen aus aller Welt, vor allem aus den Vereinigten Staaten, aufgesucht und soll über 1200 SchülerInnen gehabt haben, die er nach dem ‚Meisterklassen-Prinzip‘, d. h. selbst erst nach sorgfältiger Vorbereitung durch Assistentinnen, unterrichtete. Malwine Brée übernahm diese Aufgabe Anfang der 1890er Jahre und konzentrierte sich von da an auf die Ausbildung von Pianisten-Nachwuchs. Sie betrieb auch eine eigene Klavierschule und prägte so eine ganze Generation erstklassiger MusikerInnen, darunter Marie-Louise Baily-Apfelbeck (18731927), Ossip Gabrilowitsch (18781936), Mark Hambourg (18791960), Elly Ney (18821968), Arthur Schnabel (18821951), Paula Szalitowna (1886 oder 18871920), Paul Wittgenstein (18871961), Czesław Marek (18911985), Felix Salzer (19041986) und Adolph Baller (19091994).

Die Hauptmerkmale der Leschetizky-Schule waren das technische Training im Sinne von Leschetitzkys Lehrer Carl Czerny, das Bemühen, das Klavier ‚zum Singen zu bringen‘ mit Hilfe der „Hohlmuschelhandform“, das Auswendigspiel, eine Art „Mentales Training“ beim Einstudieren von Literatur und die Beschränkung der täglichen Übezeit auf vier Stunden. Obwohl Leschetizky selbst „zu sagen [pflegte], dass er keine Methode habe“ (Neue Freie Presse 17. Nov. 1915), autorisierte er Die Grundlagen der Methode Leschetizkys, die Malwine Brée 1902 veröffentlichte: „Your excellent work, which I have read through carefully, expresses my personal views so strikingly that I subscribe to everything in it, word for word. Your ‚Basis of the Leschetizky Method‘ leads with skilful hand along the same path by which you, as my assistant, have for so many years reached your brilliant successes. Also the style of your work is not merely didactic, but enlivened by intellect and humor“ (Vorwort der englischen Ausgabe).

Das Werk wurde im selben Jahr ins Englische und Französische übersetzt und erfuhr seitdem zahlreiche Neuauflagen.

Paul Wittgenstein widmete dem Andenken seiner Lehrerin sein dreibändiges Werk Schule für die linke Hand/School for the Left Hand, Wien 1957.

 

SCHRIFTEN

Malwine Brée, Die Grundlage der Methode Leschetizky. Mit Autorisation des Meisters, Mainz 1902.

Malwine Brée, The Groundwork of the Leschetizky Method. With forty-seven illustrative cuts of Leschetizky’s Hand, übers. von Theodore Baker, New York 1902.

Malwine Brée, Base de la méthode Leschetizky, übers. von Simone Kleeberg, Paris 1902.

 

LITERATUR

Auszug aus dem Tagebuch Marie Knebelsberger, Privatbesitz Günther Lechner

AmZ 1874, Sp. 76

Athenæum 1871 II, S. 401

La Comédie 5. Apr. 1874

Deutsche Zeitung [Wien] 1873, 31. Dez.; 1874, 8., 18. Jan.

Freeman’s Journal and Daily Commercial Advertiser [Dublin] 25. Sept. 1871

FritzschMW 1910, S. 117119

Gazette de Lausanne 26. Sept. 1907

Illustrirtes Wiener Extrablatt 8. Jan. 1874, S. 3

Musical Herald 1908, S. 106

Neue Freie Presse [Wien] 1873, 31. Dez.; 1874, 16. Jan.; 1914, 22. Jan., 19. Sept.; 1915, 17. Nov., 25., 29. Dez.; 1916, 8. Sept.

Neues Fremden-Blatt [Wien] 1868, 24. März; 1873, 31. Dez.; 1885, 11. Dez.

NZfM 1872, S. 517

L’orchestre 1874, März, NP

Die Presse [Wien] 1868, 24. März; 1870, 17. Juli; 1873, 30. Dez.

Signale 1874, S. 312

Wiener Sonn- und Montagszeitung 11. Jan. 1874

Riemann 11, Frank/Altmann, Schmidl, LexFr, ÖBL, DBE

Hermann Clemens Kosel (Hrsg.), Deutsch-österreichisches Künstler- und Schriftsteller-Lexikon, Wien 19021906.

Sigilla veri (Ph. Stauff’s Semi-Kürschner), Lexikon der Juden, -Genossen und -Gegner aller Zeiten und Zonen, insbesondere Deutschlands, der Lehren, Gebräuche, Kunstgriffe und Statistiken der Juden sowie ihrer Gaunersprache, Trugnamen, Geheimbünde usw., hrsg. von Erich Ekkehard, 5 Bde., Erfurt 21929 (antisemitische Publikation).

Gracian Černušák u. Vladimir Helfert (Hrsg.), Pazdírkův Hudební slovník naučný, Brünn 1937.

Heribert Sturm (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, München 1979.

Elly Ney u. Josef Magnus Wehner, Ein Leben für die Musik, Darmstadt 1952.

Elly Ney, Erinnerungen und Betrachtungen. Mein Leben aus der Musik, Aschaffenburg 1957.

Kenneth Hamilton, After the Golden Age. Romantic Pianism and Modern Performance, New York 2008.

Alexander Waugh, Les Wittgenstein. Une famille en guerre, Paris 2011.

Silke Wenzel, Malvine Brée“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, https://www.google.de/?gws_rd=ssl#q=Malvine+Bree+MUGI, Zugriff am 15. Febr. 2015.

 

Freia Hoffmann

 

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