Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Kiesewetter von Wiesenbrunn, Irene, verh. Gräfin Prokesch-Osten

* 27. März 1809 in Wien, † 7. Juli 1872 in Graz, Pianistin. Ihr Vater war der Musikforscher Raphael Georg Kiesewetter (1773–1850), ihre Mutter Jacobine geb. Cavallo (?–1846). Im Hause der Kiesewetters wurden vier bis sechs Konzerte pro Jahr veranstaltet, die vor allem für die Schubert-Pflege von Bedeutung waren. Irene gehörte dem Schubert’schen Freundeskreis an und galt als einflussreich für die Schubertpflege. Der 14-Jährigen, die im Rahmen der Hauskonzerte mit ihrem Klavierspiel Aufsehen erregte, und die Schubert manches Mal begleitete, widmete der Komponist die Kantate Der Tanz. Mit dem Pianisten Johann Baptist Jenger spielte sie vierhändig Werke Schuberts sowie Beethovens Orchesterwerke. Als Irene Kiesewetter nach einer schweren Erkrankung wieder gesund wurde, widmete ihr Schubert (1827) die Kantate zur Feier der Genesung des Frl. I. v. K. (Alla nostra cara Irene). Jenger bezeichnet sie 1828 in einem Brief (an Marie Pachler) als „eine der ersten Klavierspielerinnen Wiens“ (Deutsch Dokumente, S. 486). 1830 lernte Irene bei einem Hauskonzert mit Alter Musik den Diplomaten Anton von Prokesch-Osten kennen. Nach der Heirat am 25. Nov. 1832 wurden die vielfältigen musikalischen Aktivitäten Irene Prokeschs weiter fortgeführt, Gäste des Hauses Prokesch waren Thalberg, Jenger sowie der damals bekannte Schubert-Sänger Karl Freiherr von Schönstein.

1834 wurde Anton von Prokesch als Gesandter nach Athen versetzt. Dort baute Irene Prokesch einen Salon nach Wiener Vorbild auf. Viele berühmte Schriftsteller, Maler und Musiker kamen zu Besuch. Jeden Dienstag wurde Hausmusik gemacht, bei der Irene Prokesch Klavier spielte und sang. Der Archäologe Ernst Curtius hörte sie dort spielen und bezeichnet sie in einem Brief an seine Eltern als eine „wahre Virtuosin“ (zit. nach Bertsch, S. 246). Auch Fürst Hermann von Pückler-Muskau besuchte die Prokeschs: „Frau von Prokesch […] besitzt […] das Talent, eine große Virtuosin auf dem Klaviere zu sein“ (S. 118). 1835 spielte sie mit Ascher, dem Hofkapellmeister König Ottos von Griechenland, Werke von Beethoven – ob im privaten oder halböffentlichen Raum, ist unklar. 1849 zog die Familie nach Berlin, wo Irene Prokesch häufig mit Giacomo Meyerbeer musizierte. 1853 ging Anton Prokesch aus beruflichen Gründen nach Frankfurt a. M. und 1855 nach Konstantinopel. Irene scheint ihn nicht begleitet zu haben. Sie bezog ein Haus in Graz, welches wiederum ein gesellschaftlicher Treffpunkt für Musiker und Dichter wurde. Über ihren weiteren Werdegang sowie die Umstände ihres Todes liegen keine Informationen vor. 

 

 

LITERATUR

16 Briefe der Irene Prokesch von Osten an Fürst Hermann von Pückler-Muskau, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Sign. 37 Branitz 1033

Bozener Zeitung 10. Juli 1872

Neues Wiener Journal 17. Sept. 1899

Salzburger Zeitung 9. Juli 1872

Sartori Enci, ÖBL, OeML (Art. Kiesewetter, Familie)

Bettina Schinas, geb. von Savigny, Leben in Griechenland. Briefe und Berichte an ihre Eltern, hrsg. von Ruth Steffen, Münster 2002.

Fürst Hermann von Pückler-Muskau, Südöstlicher Bildersaal. Griechische Leiden, Stuttgart 1840, Repr. Frankfurt a. M. 1981.

Herfried Kier, Raphael Georg Kiesewetter (1773–1850). Wegbereiter des musikalischen Historismus, Regensburg 1968.

Otto Erich Deutsch (Hrsg.), Schubert. Die Dokumente seines Lebens, Kassel [u. a.] 1964.

Otto Erich Deutsch (Hrsg.), Schubert. Die Erinnerungen seiner Freunde, Wiesbaden 1983.

Werner Bodendorff, Franz Schuberts Frauenbild, Augsburg 1996.

Daniel Bertsch, Anton Prokesch von Osten (1795-1876). Ein Diplomat Österreichs in Athen und an der Hohen Pforte. Beiträge zur Wahrnehmung des Orients im Europa des 19. Jahrhunderts, München 2005.

Mail von Peter Dellitsch (Basel) vom 7. Okt. 2017.

 

Bildnachweis

Otto Erich Deutsch (Hrsg.), Franz Schubert. Sein Leben in Bildern (= Franz Schubert. Die Dokumente seines Lebens 3), München und Leipzig 1913, S. 402.

 

Anja Herold

 

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