Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

SchaurothSchaurodt, Delphine, Delfine, Adolphine von, verh. Hill-Handley, verh. Henninger von Eberg, verh. Knight

* 13. März 1813 in Magdeburg, † 1887 in München (?), Pianistin und Komponistin. Delphine von Schauroth wurde in eine Familie hineingeboren, die sich vermutlich an der Grenze von gehobenem Bürgertum zu niederem Adel befand. Ihr Vater war Georg Rogger Eduard Friedrich, Baron von Schauroth (1774–1829), Offizier zunächst in preußischen, später französischen Diensten. Ihre Mutter war Louise von Teltz. Delphine von Schauroth hatte mindestens zwei Brüder.

Ihre pianistische Ausbildung erhielt sie schon in frühem Kindesalter von Friedrich Kalkbrenner (1788–1849) in Paris; weitere Lehrer sind nicht bekannt. Im Alter von neun Jahren trat sie Weihnachten 1822 in Frankfurt a. M. in einem von Karl Friedrich Wilhelm Guhr veranstalteten Konzert auf und erhielt von der Presse großes Lob. 1823 folgte die erste Konzertreise durch Europa: Der Goethe-Freund Christian Heinrich Schlosser dokumentierte Delphine von Schauroths Auftreten in Paris, später spielte sie in London zunächst in privatem Rahmen, dann in einem öffentlichen Konzert. Weitere Stationen dieser Konzertreise sind nicht bekannt.

Auf nachdrückliche Empfehlung sollte Delphine von Schauroth im folgenden Winter nach Weimar reisen, um „unter Hummel sich aus zu bilden (Brief von Schlosser an Goethe, Boulogne-sur-mer 17. Aug. 1823, zit. nach Hofmann, S. 61) und Goethe zu treffen. Zu dieser Reise kam es jedoch nicht, da „Krankheit und Familien Verhältnisse ihren Aufenthalt in Weimar vereitelten (zit. nach Hofmann, S. 61), was offenbar auch Goethe bedauerte. Ihre Konzertreisen hingegen setzte Delphine von Schauroth fort. Sie trat von März bis Apr. 1824 in München auf, im März 1825 konzertierte sie in Paris. Felix Mendelssohn Bartholdy hörte sie dort erstmals spielen und machte kurz danach auch persönlich ihre Bekanntschaft: „Sonntag früh war eine musikalische Gesellschaft beim Baron Trémont. […] Viel Musik, wenig gute. Ich lernte da Onzlow, Vidal, Boely, Mlle Schauroth (eine junge Klavierspielerin) u.s.w. kennen (Brief an seine Schwester Fanny, Paris 1. Apr. 1825).

In weiteren Auftritten wirkte Delphine von Schauroth unter anderem im Sept. 1826 in Anwesenheit des Königs in einem Nürnberger Konzert mit; im März 1827 trat sie wieder in Paris auf, in den Jahren 1828 und 1829 war sie in München, Berlin und in Neuburg an der Donau bei der Herzogin Amalie von Pfalz-Zweibrücken sowie im dortigen Theater und in mehreren privaten Veranstaltungen zu hören.

Delphine von Schauroths Münchener Aufenthalt im Jahr 1830 ist in der Literatur vor allem wegen der erneuten Begegnung mit Mendelssohn dokumentiert. Sie trafen einander während einer Soiree bei Heinrich Sigmund von Kerstorf. Mendelssohn war sowohl von der Persönlichkeit als auch vom Talent Delphine von Schauroths angetan, was Robert Schumann bestätigte: „Das Concert in G-Moll für Clavier schrieb er, wie er sagte, in wenig Tagen (er sagte in drei, glaub ich) in München. Delphine von Schauroth, der ausgezeichneten, sehr schönen Clavierspielerin, gedachte er dabei als einer, die ihm gefährlich werden konnte. Er schilderte ihr Persönliches höchst anmuthig (zit. nach Schwarz-Danuser, S. 139). Mendelssohn selbst versuchte, die Beziehung zu Delphine von Schauroth herunterzuspielen. Trotzdem schrieb er an seine Schwester: „Was mich nun betrifft, so gehe ich Tag um Tag auf die Galerie und zweimal in der Woche morgens zur Schauroth, wo ich lange Visiten mache; wir raspeln grässlich (Brief München 27. Juni 1830).

Mendelssohn schrieb seinen Freunden Karl Klingemann in London und Heinrich Bärmann in München, dass er sich ernsthaft in die Pianistin verliebt habe und dass sie und auch ihre Mutter eine Heirat in jedem Falle befürwortet hätten. Die Beziehung endete jedoch mit Mendelssohns Abreise nach Italien. Neben dem genannten Klavierkonzert g-Moll op. 25 widmete Mendelssohn der Pianistin ausdrücklich sein Venetianisches Gondellied g-Moll op. 19 Nr. 6, welches er erst nach seiner Abreise aus München komponierte. Da Mendelssohn seine Kompositionen äußerst selten mit Widmungen versah, scheint es bemerkenswert, dass er Delphine von Schauroth gleich zwei Werke widmete. Mendelssohn sah sie erst einige Jahre später in London wieder, doch da war sie bereits verheiratet, und er scheute sich, Kontakt zu ihr aufzunehmen. 1839 besuchte Fanny Hensel im Zuge einer Italienreise Delphine von Schauroth in München und zeigte sich sowohl von der Pianistin als auch von der Persönlichkeit angetan.

1833 verabschiedete sich Delphine von Schauroth mit einem Konzert im Philharmonischen Verein aus München und ging nach ihrer Eheschließung mit Hill-Handley nach London. Auch nach ihrer Heirat musizierte Delphine von Schauroth in der Öffentlichkeit. Sie gab Konzerte in England, gastierte aber auch in München. Bereits 1837 zog sie – nun von ihrem Gatten getrennt lebend – zurück nach München zu ihrer Mutter. Dort spielte sie 1837 in einem Benefizkonzert zur Errichtung eines Beethoven-Denkmals, 1841 wirkte sie bei einem Wohltätigkeitskonzert mit. Danach erschienen rund 20 Jahre lang keine Konzertbesprechungen oder andere Meldungen über sie in der Presse – über mögliche Gründe dafür kann nur gemutmaßt werden.

1848 heiratete Delphine von Schauroth den 1820 geborenen Stephan Freiherr Henninger von Eberg. Die Gründe für das Scheitern auch ihrer zweiten Ehe sind nicht bekannt – möglicherweise war die Pianistin aufgrund von Herkunft und künstlerischer Tätigkeit als Schwiegertochter für die adlige Familie ihres Mannes nicht akzeptabel. 1856 verheiratete sich die Pianistin ein drittes Mal, nämlich mit Edward Knight. In einem Brief, den Delphine von Schauroth 1859 an Ferdinand Hiller schrieb, werden die Gründe für das baldige Scheitern dieser dritten Ehe zumindest angedeutet: „Ich bin gränzenlos unglücklich verheyratet gewesen (noch dazu an einen Cousin!), ich wurde so unverdient gemartert – mit den unschönsten Mitteln und Verfolgungen auch noch in letzter Zeit auf die unglaublichste Weise (wogegen ich aber den geraden Rechtsweg einschlug), dass es nicht mehr auszuhalten war (Paris 26. Apr. 1859, zit. nach Schwarz-Danuser, S. 138, Anm. 105). Nach der Trennung von Edward Knight lebte Delphine von Schauroth mehr als drei Monate lang bei einer Freundin auf einem Gut in Schlesien und wohnte danach in Paris.

 

 

In der Folgezeit bemühte sich Delphine von Schauroth, wieder in das öffentliche Konzertleben zurückzukehren. So konzertierte sie im Nov. 1862 im Rahmen einer Matinee Robert Radeckes in Berlin. Ebenfalls in Berlin veranstaltete sie im März 1863 mit insgesamt sechs adeligen Damen ein Wohltätigkeitskonzert. Hier spielte sie das ihr gewidmete Konzert g-Moll von Mendelssohn, was den Rezensenten der „Signale für die musikalische Welt“ dazu veranlasste, die mit Delphine von Schauroth eng verbundene Entstehungsgeschichte des Werkes darzustellen und auch auf die eigenen Kompositionen der Pianistin einzugehen. Ein weiterer Auftritt in einem der regulären Abonnementskonzerte Radeckes fand jedoch entgegen allen Vorankündigungen nicht statt: „Die genannte Dame hatte sich am Abend vor dem Concert plötzlich unwohl melden lassen, doch sagt das Gerücht, der hohe Adel habe ihr Auftreten in einem bürgerlichen Abonnementconcert gemißbilligt“ (Signale 1863, S. 268). Es erscheint durchaus denkbar, dass der Adel versuchte, Delphine von Schauroth von einer Rückkehr ins kommerzielle bürgerliche Musikleben abzuhalten; schließlich wurde sie nun auch in den Musikzeitschriften als Baronin Delphine von Schauroth angesprochen und damit der Sphäre des Adels zugeordnet. Ihre Teilnahme ausschließlich an Wohltätigkeitskonzerten scheint dies zu bestätigen: Im Juli 1867 spielte sie in einem Konzert in Eisenach, im Febr. 1870 veranstaltete sie im Leipziger Gewandhaus anlässlich des Geburtstags Mendelssohns ein eigenes Konzert „zum Besten einer Mendelssohnstiftung für arme Talente (NZfM 1870, S. 71).

Danach sind keine weiteren Rezensionen über Delphine von Schauroth bekannt. Laut „Adressbuch der „Signale“ von 1869 lebte sie zu diesem Zeitpunkt in Weimar. Am 8. Febr. 1870 trat sie dem Allgemeinen deutschen Musikverein als Komponistin bei. Delphine von Schauroth starb 1887 in München. Über die letzten Jahre ihres Lebens ist nichts bekannt.

Delphine von Schauroth ist es gelungen, nach ihrer Karriere als Kindervirtuosin auch als erwachsene Pianistin öffentlich tätig zu sein. Ihre musikalische Laufbahn umfasste – wenn auch mit langen Unterbrechungen – trotz dreier Ehen einen Zeitraum von rund 50 Jahren, in dem sie offenkundig eine weithin bekannte Pianistin blieb. Bereits von den Leistungen der Kindervirtuosin hatte sich einst die musikinteressierte Öffentlichkeit begeistert gezeigt: „Es ist ein ächt musikalisches und empfindendes Gemüth in dem Kinde, welches, bey allen Erfordernissen eines schönen Anschlages, einer bereits ungemeinen Fertigkeit, in dem geistvollen Vortrage der schwierigsten Compositionen eines Beethovens und Hummels zum Herzen spricht“ (AmZ 1823, Sp. 184). Nach einem Münchener Konzert beschrieb dieselbe Zeitschrift Wirkung und Spielweise der nun jungen Frau: „Das grosse, schön verzierte, englische Piano mit seiner geschmackvollen, reizenden, jungen Gestalt, ein reiner, verständlicher Vortrag, vereint mit vieler Präcision und gefälligem Ausdrucke, ziemliches Verbinden und Verschmelzen der Töne und Accorde, welches Cramer als die Haupterfordernisse eines guten Spielers angesehen wissen will, weniger Staccato’s, als sonst wohl bey Behandlung dieses Instrumentes angewendet wird“ (AmZ 1829, Sp. 452). Die späten Versuche Delphine von Schauroths, wieder als Konzertpianistin Fuß zu fassen, wurden hingegen kritischer bewertet. Angesichts des Leipziger Konzerts von 1870 empfand der Rezensent der „Signale“, dass ihr Spiel „nur mehr an seine frühere Größe zu erinnern vermochte und durch vieles Manierirte und Verzerrte getrübt erschien“ (Signale 1870, S. 149). Tatsächlich waren seit ihren ersten Auftritten fast 50 Jahre vergangen, und das ästhetische Empfinden hatte sich im Laufe der Zeit verändert.

Das Repertoire dieser Pianistin war erstaunlich breit angelegt. Neben Werken typischer Klavier-Komponisten der Zeit (Kalkbrenner, Hertz, Moscheles, Czerny, Chopin) ließ sie auch Musik von Joh. Seb. Bach, Mozart, Hummel und Weber hören. Auch das ihr gewidmete Konzert Mendelssohns g-Moll hatte einen festen Platz in ihrem Repertoire. Ungewöhnlich erscheint, dass sie bereits als Kindervirtuosin Werke Beethovens spielte (etwa das Quintett für Klavier und Bläser op. 16). Schilling bezeichnete sie als „Meisterin z. B. im Vortrage Beethovenscher Werke wie besonders der schönen Sonaten von Carl Maria von Weber“ , zeigte sich jedoch auch von der Vielseitigkeit ihres Ausdrucks beeindruckt: „Noch dürfte schwerlich eine andere Claviervirtuosin so viel und eine so große Herrschaft über die mancherlei charakteristische Nuancen der verschiedenen älteren und neueren Schulen besessen haben als Fräulein von Schauroth“ (Schilling, Art. Schauroth).

Die Komponistin Delphine von Schauroth verfasste mehrere Lieder ohne Worte von denen sie 1830 eines Mendelssohn widmete. Es wurde mindestens ein Heft mit sechs der Kompositionen verlegt, vermutlich sind weitere Werke verschollen. Ihre Sonate brillante c-Moll rezensierte Robert Schumann in der „Neuen Zeitschrift für Musik in freundlichem Ton.

 

WERKE FÜR KLAVIER SOLO

Lied ohne Worte E-Dur; Sonate a-Moll; Sonate Es-Dur; Sonata brillante c-Moll; Sechs Lieder ohne Worte op. 18 (NA: Körborn 2011); Capriccio b-Moll

 

LITERATUR

AmZ 1823, Sp. 183f., 374, 599; 1824, Sp. 352; 1827, Sp. 340, 573; 1829, Sp. 451f.; 1839, Sp. 487f.; 1863, Sp. 223

Berliner AmZ 1825, S. 85, 103, 217; 1829, S. 391

Castelli 1829, S. 104; 1832, S. 19; 1833, S. 175

Fremden-Blatt [Wien] 14. März 1863

Der Humorist 1837, S. 188

Iris 1837, S. 52

Bock 1863, S. 107; 1867, S. 263

NZfM 1835 I, S. 125; 1837 I, S. 46; 98; 1841 I, S. 90; 1862 II, S. 236; 1863 I, S. 125; 1870, S. 80

Salzburger Zeitung 27. Febr. 1841

Signale 1863, S. 251, 286; 1869, S. 411; 1870, S. 149, 157

Gathy 2, Schilling, Gaßner, Schla/Bern, Mendel, Cohen, MGG 2000

Alfred Dörffel, Geschichte der Gewandhausconcerte zu Leipzig vom 25. November 1781 bis 25. November 1881, Leipzig 1884, Repr. Walluf 1972.

Friedrich Schnapp, „Felix Mendelssohn Bartholdys Brief an seine Schwester Fanny Hensel vom 26./27. Juni 1830“, in: Schweizerische Musikzeitung 3 (1959), S. 85–91.

Sebastian Hensel, Die Familie Mendelssohn, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1995.

Brigitte Richter, Frauen um Felix Mendelssohn Bartholdy, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1997.

Christa Diemel, Adelige Frauen im bürgerlichen Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998.

Dorothea Hofmann: „‚Tag und Nacht möchte man so spielen hören…‘ Notizen zu Delphine von Schauroth – Kritiken als biographische Quelle“, in: Musik in BayernHalbjahreszeitschrift der Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte 59 (2000), S. 59–78.

Monika Schwarz-Danuser, „Delphine von Schauroth versus Cécile Mendelssohn Bartholdy geb. Jeanrenaud. Femme fatale versus Madonna?“, in: Frauen um Felix. Vortragsreihe Frühjahr 2002, hrsg. von Veronika Leggewie, Würzburg 2002, S. 121–140.

Helen Martens, Felix Mendelssohn. Out of the depths of his heart, Enumclaw 2009.

 

Bildnachweis

Schwarz-Danuser, S. 129

 

Anja Zurlage/FH

 

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