Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

WendheimHoffmannHofmann von WendheimHoffmann von Wendheim, Gabriele von, Gabrielle

* 4. Sept. 1838 in Graz, † nach 1915 (Ort unbekannt), Violinistin. Gabriele von Wendheim war wohl die Tochter des österreichischen Generals Philipp Hoffmann Edler von Wendheim (1798−?), der in Graz lebte. Aus ihrer Familie ist sonst nur der Name ihrer Schwester, Auguste Hofmann von Wendheim, bekannt. Unterricht erhielt Gabriele Wendheim in Prag von František Němec (1825−?), der in einem Konzert im Dez. 1851 „vier seiner Schüler, die Fräulein Hoffmann von Wentheim, Math. PietschmannBertha Brousil und Herrn W. Wiener“ (Bohemia 16. Dez. 1851) präsentierte.

Franz Ilwof berichtet in seinen Erinnerungen über den Geisteswissenschaftler Karl Weinhold, der von 1851 an zehn Jahre lang in Graz lehrte: Jener habe dort in den 1850er Jahren mit Gabriele Hofmann von Wendheim im Privatkreis musiziert. „Zu den nächsten Freundinnen des Hauses Weinhold gehörte das Schwesternpaar Hofmann von Wendheim. Gabriele war eine ausgezeichnete Violinistin und da hatte sich ein Trio zusammengefunden“ (Ilwof, S. 81). Zu dieser Zeit spielte sie ihr Instrument offensichtlich als Liebhaberin. Bereits 1853, als sie in Prag in einem Konzert zum Besten der dortigen Hausarmen auftrat, wird sie als Schülerin Moritz Mildners (1812−?) bezeichnet (Der Tagesbote aus Böhmen 26. Apr. 1853). Später wird dies auch in überregionalen Medien bestätigt: Die „Neue Zeitschrift für Musik“ bezeichnet sie als „Schülerin von [Moritz] Mildner in Prag“ (NZfM 1858 I, S. 84). Ende der 1850er Jahre erhielt sie zudem Unterweisungen von Joseph Joachim (1831−1907).

Um 1857 begann Gabriele von Wendheim, auch öffentlich aufzutreten. Die britische „Literary Gazette“ schreibt: „Nobly born, with great musical talent, and urged by family circumstances, Fräulein von Wendheim has devoted herself to the art as a profession. Her instrument is one seldom chosen by ladies − the violin − but her skill great“ (Literary Gazette 1857, S. 1197). Dabei wurde die Geigerin von prominenter Seite gefördert: „Jenny Goldschmidt offered to sing if she [Gabriele von Wendheim] would give a concert. Her benevolence had its reward; the room was crowded to excess“ (ebd.). Jenny Lind-Goldschmidts Unterstützung bei diesem Konzert in Dresden dürfte für die bis dahin unbekannte Gabriele von Wendheim eine erhebliche Werbewirkung besessen haben. Die „Neue Zeitschrift für Musik“ schreibt darüber: „Frl. Gabriele v. Wendheim, eine junge Violinvirtuosin, gab in Dresden eine sehr besuchte Soirée, bei welcher indeß ihre recht guten Leistungen weniger der Magnet gewesen sein mögen, als vielmehr das in Dresden so überaus seltene öffentliche Auftreten von Frau Lind-Goldschmidt“ (NZfM 1857 II, S. 250). In einer späteren Rezension desselben Konzertes nennt die „Neue Zeitschrift für Musik“ das Programm: „Beriot’s siebentes Concert, Bazzini’s l’Abscence und Mildner’s Humoresken über böhmische Volkslieder, waren die zum Vortrag gewählten Piècen“ (NZfM 1858 I, S. 84). In späteren Konzerten spielte sie auch ein Violinkonzert von Bernhard Molique.

Nach diesem Auftritt im Nov. 1857 wandte sich Gabriele von Wendheim von Dresden nach Berlin, wo sie um den Jahreswechsel 1857/58 konzertierte. Sie spielte in einer Matinee im Hause des Musikalienhändlers Bock, Anfang Januar dann im Opernhaus vor einer Ballettaufführung. Zu Beginn des Jahres 1858 hielt sich die Geigerin in Hannover auf und stand nun in näherem Kontakt zu Joseph Joachim, der in jener Zeit Kgl. Konzertmeister in Hannover war. Er schreibt aus Hannover – wohl in der Zeit ihres Aufenthaltes dort Anfang 1858 – an seine Eltern: „Hier ist jetzt eine junge Violinspielerin, eine Generalstochter aus Prag, Fräulein Wendheim. Das Mädchen spielt ganz wunderschön und ich interessiere mich so lebhaft für ihr Talent, daß ich fast täglich mit ihr musiziere, und daß die junge Dame quasi meine Schülerin geworden ist. Sie will noch einige Zeit hier bleiben, was mir sehr lieb ist; denn es ist eine so liebenswürdige, edle, bescheidene, unverdorbene Natur, und so voll Anmuth in ihrem Wesen, daß mir der Umgang mit ihr lebhafte Freude bereitet“ (undat. Brief, zit. nach Uhde, The Music of Joseph Joachim, S. 371). Im Febr. 1858 war sie in Hannover zu hören. Joachim sah offenbar die Schwierigkeiten einer Karriere für Geigerinnen und hätte sie dabei gern unterstützt. Er schreibt an Heinrich Joachim: „Du wirst in den nächsten Wochen eine liebe Bekanntschaft machen, die von Fräulein v. Wendheim, von der ich dir schon gesprochen habe. Sie will die Saison in England verbringen, um ihr schönes, seltenes Violinspielertalent zur Geltung zu bringen. Um ihretwillen thut es mir eigentlich sehr leid, daß ich nicht dort sein kann, denn ich möchte es gern recht angelegen sein ihre für ein junges (18jähriges) Mädchen sehr schwierige Carriere als Künstlerin auf alle mögliche Art zu erleichtern“ (19. März 1858, zit. nach ebd.). Joachim widmete der Geigerin sein Nocturno für Violine und Orchester op. 12. Das Werk entstand wohl 1858, Joachim mag damit die Karriereförderung von Wendheims im Sinn gehabt haben. Den hier angedeuteten Plänen entsprechend wandte sich die Geigerin im Frühjahr 1858 nach England. Britische Gazetten berichten von Konzerten in London (in der St. James's Hall und im Crystal Palace) im Apr. und Mai 1858. Danach scheint die kurze Karriere der Gabriele von Wendheim ein Ende gefunden zu haben.

Die Wahrnehmung Gabriele von Wendheims durch die zeitgenössische Presse war gespalten. Die „Neue Berliner Musikzeitung“ zeigt sich 1857 angetan von den künstlerischen Qualitäten der Geigerin: „Selten haben wir von einer Dame einen so vollen und schönen Ton gehört; ihr Spiel ist rein und ihre Technik sehr ausgebildet, dabei ihr Vortrag frei von jeder Manier, und glauben wir der Künstlerin eine glänzende Zukunft auf dem erst betretenen Künstlerpfade prophezeihen zu können“ (Bock 1857, S. 413). Dasselbe Blatt schreibt kurz darauf: „Rein von allen äusseren Kunstmitteln, die sie verschmäht, überwindet sie die schwierigsten Aufgaben der Composition mit grosser Sicherheit; ihr Ton ist stark und ihre Vortragsweise edel, ihre Intonation rein, und so wird der überaus gebildeten und bescheidenen jungen Dame auf ihrer künstlerischen Laufbahn die ehrendste Anerkennung nie ausbleiben“ (Bock 1858, S. 12). Diese Prophezeiung traf jedoch nicht ein − schon die „Neue Zeitschrift für Musik“ äußerte Zweifel an den Fähigkeiten Gabriele von Wendheims: „Technisch zeigte sie sich denselben [Kompositionen] nicht durchaus gewachsen. Zum Theil mochte es wol Befangenheit sein, die einer günstigeren Entfaltung ihres musikalischen Vermögens hinderlich ward, weshalb wir gewünscht hätten, die junge Künstlerin hätte aus dem Wohlwollen, welches man ihr entgegentrug, Muth zu schöpfen verstanden“ (NZfM 1858 I, S. 84). Auch in London fiel den Kritikern die Nervosität der Geigerin auf: „The lady violinist is doubtless clever, but she was so fearfully nervous that it would be in highest degree uncharitable to pass judgment upon her without further hearing. Her evident trepidation affected her ‚stopping‘ throughout the early part of her solo, and though she was in better tune and played with greater freedom as she progressed, it was not a genuine performance“ (Musical Gazette 1858, S. 240). Der Kritiker der „Musical World“ war weniger rücksichtsvoll: „Mdlle. Gabriele Wendheim, a young lady, who, whatever may be her capabilites, is ill-advised to exhibit them in public at present, since, in the mechanical part of her art, she has almost everything to learn“ (MusW 1858, S. 299). Die „Neue Wiener Musik-Zeitung“ schrieb aus London, „ein noch wenig ausgebildetes Fräulein, Gabriele Wendheim, ließ sich auf der Violine hören“ (Neue Wiener Musik-Zeitung 1858, S. 79).

Auch später stand die Geigerin vermutlich noch mit Joseph Joachim in Verbindung. Beatrix Borchard zitiert aus einem Brief Amalie Joachims an deren Ehemann, geschrieben in Meran im Jahr 1876, in dem der Familienname erwähnt wird (Borchard, S. 363). Auch der oben erwähnte Karl Weinhold hielt weiter Kontakt zur Familie. Er schreibt am 17. Juni 1883 an Ilwof aus Breslau: „Am Anfang der Herbstferien […] gedenken wir nach Salzburg zu gehen, wo wir im Nonntal nahe bei unseren Freundinnen, den Fräulein Hofmann von Wendheim, Wohnung gefunden haben“ (zit. nach Ilwof, S. 93). Dort war er, wie Weinhold dann aus Salzburg mitteilt, „in täglicher Berührung mit unseren Freundinnen“ (zit. nach Ilwof, S. 94). Demnach blieb Gabriele von Wendheim unverheiratet und zog nach ihrer kurzen Karriere als Geigerin in den österreichischen Raum zurück.

Viele Jahre später erschien der Name dieser Frau nochmals in der Öffentlichkeit. Im Boten für Tirol" wird 1915 die amtliche Entscheidung verkündet, dass für Gabriele Hoffmann von Wendheim ein gerichtlicher Vormund bestellt würde. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich in der Nervenheilanstalt Neufriedenheim bei München.

 

LITERATUR

Bock 1857, S. 413; 1858, S. 12, 70, 151

Bohemia [Prag] 1851, 28. März, 16. Dez.

Bote für Tirol [Innsbruck] 15. Nov. 1915

Deutscher Bühnen-Almanach 1859, S. 19

Grazer Zeitung 14. Nov. 1858

Literary Gazette 1857, S. 1197

Monatschrift für Theater und Musik 1857, S. 621

Musical Gazette 1858, S. 240

MusW 1858, S. 299, 375

Neue Wiener Musik-Zeitung 1858, S. 79

NZfM 1857 II, S. 250; 1858 I, S. 84

Signale 1857, S. 509

Der Tagesbote aus Böhmen [Prag] 1853, 26. Apr.; 1857,  6. März, 6. Mai

Tagespost [Graz] 12. Nov. 1858

MGG 1 (Art. Joachim)

Georg Fischer, Musik in Hannover, Hannover 1903.

Franz Ilwof, „Karl Weinhold, Biographisches, Erinnerungen, Briefe“, in: Steirische Zeitschrift für Geschichte, hrsg. vom Historischen Verein für Steiermark 1 (1903), S. 71−103.

Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim, Biographie und Interpretationsgeschichte (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 5), Wien [u. a.] 2005.

Katharina Uhde, The Music of Joseph Joachim, Rochester u. Woodbridge 2018.

 

Volker Timmermann

 

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