Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Hierros, Rosario de los, verh. Molina

* 1824, Ort unbekannt, † nach 1859, spanische Pianistin. („Rosario“ bedeutet Rosenkranz und ist in Spanien auch als weiblicher Vorname gebräuchlich.) Sie war Schülerin von Franz Liszt (1811–1886); wann und wo der Unterricht stattfand, war bisher nicht zu ermitteln. Jedoch muss es früh der Fall gewesen sein, da Liszt in einem Brief vom Juni 1834 eine Bemerkung macht, die auf ein vertrautes Verhältnis hindeutet: „J’ai promis deux mots à Rosario“ („Ich habe versprochen, ihr kurz zu schreiben“, Briefwechsel, S. 53). Dass sie Liszt-Schülerin war, wird in der zeitgenössischen Presse stets erwähnt.

Von Ende 1839 bis Mitte 1840 wurde sie bei Pariser Konzerten und Salonauftritten gefeiert. Ihre Erfolge setzten sich bis zu ihrer Rückkehr nach Madrid (im Juli 1840) in Tours und Bordeaux fort. Anscheinend unternahm sie daraufhin einen Versuch, sich als Pianistin in Spanien bekannt zu machen. Die „Revista de Madrid“ berichtet im Jahre 1844 rückblickend: „Aun conservo bien presente en la memoria la desdichada suerte de una jóven y hábil instrumentalísta [Fußnote: ,Señorita Doña Rosario de los Hierros.], que reducida á buscar en su talento sus escasos de substistencia, no ha podido contar en Madrid con la concurrencia afectuosa de sus compañeros de música para costear sequiera los gastos de un concierto sobre que habia fundado vanamente sus pasajeras esperanzas“ („Noch sehr gut ist mir das unglückliche Schicksal einer jungen und fähigen Instrumentalistin im Gedächtnis, welche sich darauf beschränkte, aus ihrem Talent ihre geringen Mittel zum Lebensunterhalt zu schöpfen, jedoch in einem Madrider Konzert nicht auf den freundlichen Zulauf ihrer musikalischen Genossen rechnen konnte, um so wenigstens die Kosten des Konzertes bestreiten zu können, worauf sie vergebens ihre zeitweiligen Hoffnungen gesetzt hatte“, Revista de Madrid 1844, S. 296).

1843 konzertierte sie in Pau. Henri Blanchard, Komponist und Literat, seit 1836 Mitarbeiter der „Revue et Gazette musicale de Paris“widmet seinen Bericht von der französischen Südgrenze „aux partisans de la décentralisation musicale“ („den Vorkämpfern der musikalischen Dezentralisation“, RGM 1843, S. 83) und lobt sowohl ihren Auftritt als auch die Tatsache, dass sie sich dort als Musiklehrerin etabliert habe. 1844 weilte Franz Liszt zwei Wochen lang in Pau und gab dort zwei Konzerte, jenes vom 8. Okt. „zugunsten Mme Molinas, einer ehemaligen Schülerin“ (Gut 2009, S. 735). Bei dem Konzert wirkte sie an seiner Seite mit, und der gemeinsame Auftritt führte ihr weitere SchülerInnen zu. In der Nachricht von 1843 heißt sie erstmals „Madame Molina“, hat also wohl in den vorhergehenden drei Jahren geheiratet.

Zu ihrem Repertoire gehörten Werke von Beethoven (u. a. eines seiner Klaviertrios), von Johann Nepomuk Hummel (Septett op. 74), von Liszt (darunter Arrangements von Schubert-Liedern) und Sigismund Thalberg (Fantasien zu den Opern Moses von Rossini und Die Hugenotten von Meyerbeer). An ihrem Spiel wurde besonders hervorgehoben die ungewöhnliche Verbindung von Energie und Schwung in den schnellen, von Grazie und Eleganz in den melodischen Passagen, „une vélocité surprenante d’exécution et une main droite des plus brillantes“ („eine überraschende Geschwindigkeit beim Spiel und eine von den brillantesten rechten Händen“, RGM 1840, S. 58). Gelobt wurde eine Interpretation „avec cette intelligence de la bonne musique qui la distingue“ („mit jenem Verständnis für gute Musik, das sie auszeichnet“, ebd., S. 167). „Elle a la fougue et la puissance de son maître. Quel feu! quelle énergie! S’il y a du Liszt dans le talent de mademoiselle Rosario, il y a aussi de l’Espagne. Je me figure que Chimène aurait touché du piano comme la senorita Rosario de los Hierros“ („Sie hat den Schwung und die Kraft ihres Lehrmeisters. Welches Feuer! Welche Energie! Wenn das Können von Mademoiselle Rosario von Liszt geprägt ist, dann ebenso von Spanien. Ich stelle mir vor, dass Ximena Klavier gespielt hätte wie Señorita Rosario de los Hierros“, ebd., S. 334; Ximena war die Gattin des spanischen Nationalhelden El Cid). Einsprüche beziehen sich mit Sicherheit, wenngleich meist unausgesprochen, auch auf die Spielweise ihres Lehrers. Ein Kritiker empfiehlt ihr, à donner plus de rondeur au son, à prendre ses mouvements un peu moins vite, et ne pas autant jouer de la tête („dem Klang mehr Rundung zu geben, ihre Sätze etwas weniger schnell zu nehmen und ihre Kopf weniger stark zu bewegen“, ebd., S. 58). Les connaisseurs ne lui font qu’un reproche, celui de trop moderniser la musique des grands maîtres („Die Kenner machen ihr lediglich einen Vorwurf, nämlich dass sie die Musik der großen Meister allzu sehr modernisiert“, ebd., S. 310). Hiermit wurde wohl nicht nur auf die Schubert-Arrangements angespielt, sondern auch auf die von Liszt bekannte Eigenheit, den Originaltext hin und wieder durch Verzierungen und zugesetzte Füllstimmen zu ergänzen sowie ausgiebigen Gebrauch vom Rubato zu machen.

 

LITERATUR

AmZ 1840, Sp. 993

Le Ménestrel 1840, 26. Jan., 21. März, 26. Juni

MusW 1840, S. 7

NZfM 1840 I, S. 68

Revista de Madrid 1844, S. 295f.

RGM 1840, S. 57f., 167f., 310, 334, 360; 1843, S. 83

Baltasar Saldoni, Diccionario biografico-bibliografico de efemerides de musicos españoles, Madrid 1868–1881.

Alan Walker, Franz Liszt. The Virtuoso Years 1811–18472Ithaca/NY 1987.

Franz Liszt. Briefwechsel mit seiner Mutter, hrsg. von Klara Hamburger, Eisenstadt 2000.

Serge Gut, Franz Liszt, Sinzig 2009.

 

Peter Schleuning

 

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