Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Grund, Christiane (Eleonore), Christel, verh. Sengstack, Sengstacke

* 24. Aug. 1783 in Dresden, † 27. Mai 1867 in Bremen. Die Pianistin und Sängerin war das älteste von neun Kindern des aus Sachsen stammenden Musikers Georg Friedrich Grund und dessen Frau Christiane Eleonore, geb. Steinert. Zu ihren Geschwistern gehörten die Berufsmusiker Eduard (1802–1871) und Friedrich Wilhelm Grund (1791–1874) sowie die ebenfalls als Pianistin und Sängerin tätige Henriette Grund. Christiane Grund war Klavierschülerin ihres Vaters. Vermutlich erhielt sie Gesangsunterricht bei Vincenzo Righini (1756–1812).

Christiane Grund debütierte im Dez. 1791 achtjährig im Hamburger Schauspielhaus. Nach den Familienerinnerungen einer Nachfahrin trug dieses erste erfolgreiche Konzert des Kindes entscheidend zur Verbesserung der bis dahin dürftigen materiellen Situation der Familie bei. Georg Friedrich Grund, der erst seit wenigen Jahren in Hamburg tätig war, wurde durch den Erfolg der Tochter rasch zu einem gefragten Klavierlehrer (Schaefer, S. 2f.).

Bereits im Febr. 1792 folgte ein weiterer Auftritt in einem Konzert der Gesellschaft Harmonie. Der „Hamburgische Correspondent“ bescheinigt dem Mädchen nicht nur „schnelle Fortschritte in der Kunst“, sondern bewundert auch ihre „Fertigkeit und den geschmackvollen Vortrag […] sowol in den schwersten Passagen, als insbesondere auch in der Cadence durch alle Töne“ (Hamburgischer Correspondent Nr. 34, 29. Febr. 1792).

In den folgenden Jahren trat sie regelmäßig in eigenen Konzerten auf (als Konzertorte sind das Schauspielhaus, das Komödienhaus und die Harmonie nachweisbar). Ab 1795 ließ sie sich zudem als Sängerin hören. Christiane Grund konzertierte auch gemeinsam mit ihren Geschwistern, so etwa erstmals mit ihrem sechsjährigen Bruder Fritz im Nov. 1792 am Klavier vierhändig. Mit zunehmendem Alter wurde sie in der Allgemeinen musikalischen Zeitung kritischer beurteilt: „Sie spielte als Kind von 8, 9 Jahren[…] recht sehr gut; seit einiger Zeit aber […] gefällt sie mir ungleich weniger. Sie glaubt gut zu spielen, wenn sie nur geschwind spielt, und übertreibt daher fast alle Sachen […]. Wenn sie auch alles Ton für Ton durchaus rein und deutlich herauszubringen vermöchte, so fehlt ihr doch noch bey weitem die zur guten Exekution der grössern Mozartischen Konzerte durchaus nöthige Kraft und Festigkeit“ (AmZ 1798/99, Sp. 622f.).

An den Biographien der Geschwister Grund lassen sich einmal mehr die ungleichen Professionalisierungschancen der Geschlechter im Musikleben des 19. Jahrhunderts ablesen. Während die Brüder Eduard (späterer langjähriger Konzertmeister der Meininger Hofkapelle) und Friedrich Wilhelm (als Gründer der Philharmonischen Gesellschaft eine wichtige Persönlichkeit der Hamburger Musikgeschichte) erfolgreiche, in exponierten Positionen tätige Berufsmusiker wurden, nahm die Vita der offenkundig ebenfalls talentierten Christiane Grund eine andere Wendung. Anhand der vorliegenden Konzert-Belege wird zunächst deutlich, dass sie mit zunehmendem Alter immer weniger als Pianistin tätig war und sich stattdessen dem Gesang zuwandte. Louis Spohr nahm sie bei seinem Hamburg-Besuch 1802 schon nur noch als Sängerin wahr. Obwohl Christiane Grund offenkundig über einen hohen Bildungsstand verfügte – der von ihr spürbar eingenommene Spohr merkt an, „daß sie vier Sprachen richtig spreche und schreibe“ (Spohr I, S. 17) –,  sie offenkundig musikalisch sehr begabt war und vermutlich ab ihrem 14. Lebensjahre selbst Klavierunterricht erteilte, fand eine dauerhafte Berufstätigkeit als Musikerin nicht statt.

Stattdessen heiratete Christiane Grund 1802 den Bremer Kaufmann Georg Friedrich Sengstack, übersiedelte nach Bremen und zog sich aus dem öffentlichen Konzertleben weitgehend zurück. Die ab 1820 verfassten Jahresrückblicke Christiane Grunds verh. Sengstack bieten die seltene Möglichkeit, auf das private Leben einer einstmalig erfolgreichen Künstlerin zu blicken, die durch die Heirat in ihrem Wirkungsraum weitgehend auf den Privatkreis beschränkt wurde. Christiane Sengstack nahm diese Rolle ohne erkennbaren Widerspruch an. Sie bekam 16 Kinder; in ihren Chroniken nehmen die Schilderungen familiärer Ereignisse entsprechend den weitaus meisten Raum ein. Es entsteht der Eindruck einer fürsorglichen, im Zentrum ihrer Familie stehenden Frau. Gleichzeitig ist feststellbar, dass sie die Musik nicht aufgab, sondern weiterhin am Musikleben teilnahm – nun jedoch in veränderter Form als aktive und passive Partizipantin eines weiten privat-musikalischen Rahmens. Der professionelle Hintergrund der Musiker-Familie Grund ermöglichte es Christiane Sengstack, mit einer Reihe von hochklassigen MusikerInnen der Zeit auch im persönlichen Kontakt zu stehen. Im Haus der Familie Sengstack etablierte sie Privatkonzerte, an denen 1833 etwa die Pianistin Louise Dulcken (Klavierschülerin des Bruders Friedrich Wilhelm Grund), oder 1836 der „Concertmeister Müller aus Braunschweig“ – Primarius des berühmten Streichquartetts der Gebrüder Müller – teilnahmen (Meinken, S. 53, 77). In diesem Rahmen war sie auch weiterhin als Pianistin tätig: „Reinecke spielte mit mir vierhändig“ (ebd., S. 152). Auch die Brüder Friedrich Wilhelm und Eduard musizierten gemeinsam mit Christiane Sengstack. Dabei wurde offenkundig auch Repertoire gespielt, das für Frauen dieser Zeit, die im Rahmen bürgerlicher Salon- und Hauskonzerte musizierten, sonst eher unüblich war: Etwa Beethovens Eroica in vierhändiger Bearbeitung oder – gemeinsam mit den Brüdern – „ein schönes großes Trio von Beethoven“ (ebd., S. 171). Öffentlich trat sie indes nur noch sehr selten – und dann als Sängerin – auf, etwa im Okt. 1822 in einem Bremer Konzert ihres Bruders Eduard Grund.

 

LITERATUR

Familienglück – das Beste auf Erden. Die Berichte der Ehefrau Christiane des Bremer Kaufmanns Georg Friedrich Sengstack aus den Jahren 1820 bis 1861, hrsg. von Althée Meinken, Bukarest 1997.

Hamburgischer Correspondent 1791, 17. Dez.; 1792, 29. Febr., 2. Nov.; 1798, 10. März

AmZ 1799, Sp. 622f.; 1802, Sp. 333

Auguste Boyes, Ueber meine Großmutter Christiane Sengstack (geb. Grund), unveröffentl. Typoskript, undatiert.

J.H. M. Ohm, Die 13jährige Pianistin Alwine Ohm aus Hannover und deren 4jährige Kunstreise durch Deutschland, Hamburg 1860.

O.V., Nach Rückerinnerungen eines alten Musikanten. Zum 50jährigem Bestehen der Hamburger Philharmonischen Konzerte, gedr. als Manuskript, 1878.

Familen-Stiftung des seel. Herrn Aeltermann Heinrich Sengstack, Stammtafel, hrsg. von der Verwaltung der Stiftung, Bremen 1902.

Helene Schaefer, Familie Sengstack-Grund, unveröffentl. Typoskript, Cottbus 1929.

Hermann A. Schumacher, „Magister Müllers letzte Schrift. Ein bremisches Kuriosum“, in: Bremisches Jahrbuch 39 (1940), S. 117–137.

Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. von Folker Göthel, Tutzing 1968.

Josef Sittard, Geschichte des Musik- und Concertwesens in Hamburg. Vom 14. Jahrhundert bis auf die Gegenwart, Altona, Leipzig 1890, Repr. Hildesheim 1971.

 

Bildnachweis

Familienglück, hrsg. von Althée Meinken, S. 1.

 

Volker Timmermann

 

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